Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 10.02.2006
Am Dienstag, dem 14. Februar 2006, beginnt vor dem Landgericht Dessau der Prozess gegen einen 28jährigen Rechten, dem die Anklage unter anderem schwere Körperverletzung vorwirft. Am 30. Juli 2005 wurde auf dem Heimatfest in Zerbst ein damals 16Jähriger von dem Angeklagten angegriffen und schwer verletzt, weil er ein T-Shirt und einen Rucksackaufnäher mit der Aufschrift „Gegen Nazis“ trug. Der 28Jährige schlug seinem Opfer ein Bierglas ins Auge und zwang ihn, das T-Shirt auszuziehen. Der 16Jährige irrte anschließend blutend und mit nacktem Oberkörper durch die Menge der Festbesucher. Trotz mehrerer Operationen gelang es nicht mehr, die Sehkraft auf dem zerschnittenen Auge wieder herzustellen. Der 16Jährige ist seit dem Angriff auf dem rechten Auge erblindet. Außerdem hat er schwere Schnittverletzungen im Gesicht und am Arm erlitten. Er befindet sich auch ein halbes Jahr nach dem Angriff noch in medizinischer Betreuung.
Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt erst 21/2 Monate auf freiem Fuß, nachdem er über vier Jahre inhaftiert und der verbleibende Strafrest gerade zur Bewährung ausgesetzt worden war. Obwohl die Security des Heimatfestes den Täter kurze Zeit nach dem Angriff in einem Bierzelt fand und der Polizei übergab, führten die Beamten in Zerbst lediglich einen Alkoholtest bei dem Angeklagten durch und fuhren ihn dann als besondere Serviceleistung zum letzten Regionalexpress nach Roßlau. Im Regionalexpress verübte der 28jährige Nico K. laut Anklage die nächste Körperverletzung: er schlug auf einen Augenzeugen des Angriffs beim Heimatfest ein, der sich zufällig im gleichen Zug aufhielt.
Das Polizeirevier in Zerbst verschwieg Tage lang den Angriff auf den 16Jährigen gegenüber der Öffentlichkeit. Einer Gruppe von 50 nicht-rechten und alternativen Jugendlichen, die wenige Tage nach dem Angriff auf dem Fest für ein „nazifreies Heimatfest“ demonstrierten und Flugblätter verteilten, wurde mit Anzeigen wegen „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“ gedroht. Die Stadt Zerbst erklärte zudem öffentlich, das Heimatfest sei eine gelungene Veranstaltung gewesen und bagatellisierte den Angriff des Neonazis als „Schlägerei unter Jugendlichen“.
Erst nachdem der Berliner „Tagesspiegel“ am 13. August 2005 über die Ereignisse und das Verhalten der Polizei berichtete, gaben die Ermittlungsbehörden überhaupt zu, dass der Angriff stattgefunden hatte und es sich um eine rechtsextrem motivierte Gewalttat handelte. Der Staatsschutz Dessau übernahmen die Ermittlungen, gegen den nunmehr Angeklagten Nico K. wurde am 18. August 2005 Haftbefehl erlassen. Die Familie des Opfers ist nach weiteren Drohungen der rechtsradikalen Szene im Dezember 2005 aus Zerbst weggezogen, um dem 16Jährigen die Möglichkeit zu geben, sich wieder ohne Angst im öffentlichen Raum zu bewegen.
Achtung Bildberichterstatter: Die Familie des Opfers bittet beim Prozess darum, von Fotos des Opfers abzusehen. Für Interviews zum Prozessauftakt stehen der Vertreter der Nebenklage, die Mutter des Betroffenen und die Mobile Opferberatung zur Verfügung.