Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 01.06.2004
Seit Jahresbeginn hat die Zahl rechter Gewalttaten in Sachsen-Anhalt im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erheblich zugenommen. Regionale Schwerpunkte sind die Harzregion, Dessau und Magdeburg.
Hauptsächlich betroffen sind alternative Jugendliche, MigrantInnen und Flüchtlinge. Offiziell hat das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt bis Ende April lediglich zehn rechte Angriffe an das Bundesinnenministerium gemeldet.
Seit Jahresbeginn hat die Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt bis Mitte Mai 2004 bislang von 42 Angriffen mit rechtsextremen oder fremdenfeindlichen Hintergrund erfahren. Damit ist die Anzahl der bekannt gewordenen Angriffe mit rechter und rassistischer Motivation im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel gestiegen. Von Anfang Januar bis Ende April 2003 hatten LKA und Mobile Opferberatung insgesamt 29 Angriffe mit rechten oder fremdenfeindlichen Hintergrund registriert.
Nach wie vor gehören AsylbewerberInnen und MigrantInnen zu den Hauptbetroffenen rechter Gewalt. In elf Fällen wurden seit Jahresbeginn Asylsuchende und MigrantInnen Opfer einer rechten Gewalttat; in 22 Fällen waren explizit nicht-rechte, alternative sowie linke Jugendliche und deren Treffpunkte Angriffsziele von Rechten. In sechs Fällen waren die Betroffenen keiner der beiden Hauptopfergruppen zuzuordnen.
Eine traurige Spitze mit 15 Angriffe verzeichnet die Stadt Dessau, gefolgt von der Harzregion mit elf Angriffen und der Stadt Magdeburg mit fünf bekannt gewordenen Angriffen mit fremdenfeindlicher und rechter Motivation.
Besorgt ist die Mobile Opferberatung über das Meldeverhalten der Ermittlungsbehörden in Bezug auf die rechten und fremdenfeindlichen Hintergründe der Angriffe. Für die ersten drei Monate dieses Jahres hat das Land Sachsen-Anhalt bislang lediglich acht Gewalttaten mit rechtem Hintergrund an das Bundesinnenministerium gemeldet. Diese Zahl ergibt sich aus den Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen der Abgeordneten Petra Pau. (vgl. u.a. BT-Drucksachen 15/2913, 15/2710).
Deutlich wird diese Diskrepanz auch bei der Darstellung von rechten Gewalttaten in der Öffentlichkeit. Zum Beispiel bei der Polizeidirektion Halberstadt: Am 17. April 2004 wurden in Wegelegen eine junge Frau und zwei junge Männer, darunter ein Punk, gezielt von Neonazis mit einem Auto gejagt. Während es zwei Betroffenen gelang, sich vor dem Auto in Sicherheit zu bringen, wurde der Punk frontal angefahren, woraufhin er in einen Graben stürzte. Das Auto hielt nun an; die Insassen stiegen aus und schlugen mit Eisenstangen immer wieder vor allem auf den Kopf des Punk ein. Erst als der Betroffene schließlich regungslos am Boden liegen blieb, ließen die Angreifer von ihrem Opfer ab. Mit multiplen Schädelbrüchen, einem Nasen- und Jochbeinbruch wurde der Betroffene auf die Intensivstation eingewiesen. Bei den Angreifern handelt es sich um polizeibekannte Neonazis; einer der Täter befindet sich seit dem 19. April wegen des Verdachts des versuchten Totschlags in Untersuchungshaft.
In der einzigen Pressemitteilung der Polizeidirektion Halberstadt zu diesem Fall völlig entgrenzter rechtsextremer Gewalt gegen Menschen, die im rechten Weltbild als „politische Gegner“ definiert werden, ist lediglich davon die Rede, dass ein Fußgänger in Wegelegen „mit Absicht“ angefahren worden sei. „Hintergründe der Tat sind zur Zeit nicht bekannt,“ so die Polizeidirektion Halberstadt in einer kurzen Pressemitteilung 19. April 2004.
Auch die Frage, ob es in Sachsen-Anhalt im Jahr 2003 einen Anstieg oder eine Abnahme der rechten Gewalt gegenüber dem Vorjahr gab, muss neu beantwortet werden. Im Frühjahr hatte das Innenministerium erklärt, es habe im vergangenen Jahr 53 Gewaltdelikte mit rechtem Hintergrund registriert. Ein detaillierter Vergleich der bei LKA und der Mobilen Opferberatung registrierten rechts und fremdenfeindlich motivierten Angriffe ergab indes erhebliche Abweichungen. Von den 46 vom LKA vorgelegten Fällen waren der Mobilen Opferberatung 28 nicht bekannt. Umgekehrt fehlten auf der Liste des LKA 32 Gewalttaten, die die Mobile Opferberatung als rechtsextrem motiviert eingestuft hatte, darunter auch zwei Angriffe, welche die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe als rechtsextrem gewertet hat. 18 Fälle hatten sowohl LKA als auch Mobile Opferberatung als Gewalttaten mit rechten oder fremdenfeindlichen Hintergrund registriert.
„Die von einander abweichenden Statistiken legen den Schluss nahe, dass sowohl die Statistik der Mobilen Opferberatung als auch des LKA nur einen Ausschnitt des tatsächlichen Ausmaßes rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt darstellen,“ sagt Heike Kleffner von der Mobilen Opferberatung. Das LKA hat gegenüber der Mobilen Opferberatung angekündigt, die Ursachen für die Abweichungen zu recherchieren.