Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 13.07.2010

Der ursprünglich für den 26. April 2010 angekündigte Berufungsprozess gegen einen bekennenden Neonazi musste wegen Erkrankung des Richters verschoben werden und findet nun am 19. Juli 2010 vor dem Landgericht Magdeburg statt. Der Angeklagte war Ende November 2009 vom Amtsgericht Magdeburg zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt worden. Obwohl sich in der erstinstanzlichen Verhandlung herausgestellt hatte, dass der Angeklagte den Betroffenen gemeinsam mit etwa einem Dutzend weiterer Angreifer nach rassistischen Beschimpfungen und Bedrohungen verfolgt und attackiert hatte, wurde der zur Tatzeit 29-jährige Maik K. lediglich wegen einfacher Körperverletzung verurteilt. Auch dass der Angeklagte sich vor Gericht als „Nationalsozialist“ bezeichnete und offen zugab, dass er den Betroffenen angegriffen hatte, weil „die (…) in ihr Land zurückgehen (sollen)“, ignorierten Staatsanwaltschaft und Gericht.

„Das Gericht hätte die rassistische Tatmotivation strafschärfend berücksichtigen müssen“, kritisiert der Anwalt des Betroffenen, Alain Mundt das milde Urteil des Amtsgerichts. Die Mobile Opferberatung spricht im Zusammenhang mit dem erstinstanzlichen Verfahren von einer „beispiellosen Verharmlosung rassistisch motivierter Gewalt“ durch Staatsanwaltschaft und Gericht. Einzig der Nebenklägervertreter des Betroffenen legte gegen das Urteil Berufung ein, um eine der Tat angemessene Verurteilung wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu erreichen. Da zum Berufungsprozess lediglich der Betroffene als Zeuge geladen ist, ist noch am gleichen Tag mit der Urteilsverkündung zu rechnen.

Zu den Hintergründen

Am 6. Januar 2008 gegen 0:45 Uhr war der damals 29-Jährige aus der Elfenbeinküste auf dem Nachhauseweg, als er an der Straßenbahnhaltestelle Kastanienstraße im Stadtteil Neue Neustadt in Magdeburg aus einer Gruppe von vier Deutschen u.a. rassistisch als „Neger“ beleidigt wurde. Der Flüchtling reagierte darauf mit „Fuck you“ und versuchte, seinen Heimweg fortzusetzen. Aber die Gruppe kam sofort aggressiv auf den 29-Jährigen zu. In seiner Angst griff der Betroffene nach einer Bauzaunlatte, um sich damit eventuell verteidigen zu können und flüchtete in einen türkischen Imbiss. Dort bat er um Hilfe. Inzwischen war die Gruppe seiner Verfolger auf über 10 Rechte angewachsen. Aus dem Imbiss konnte er telefonisch Freunde erreichen, die in einem nahe gelegenen Café feierten. Nach Drohungen der Verfolger, sie würden den Imbiss zerschlagen, wenn „der Neger nicht rauskommt“ sagte der Eigentümer dem Betroffenen schließlich, er müsse raus.

In Todesangst rannte der 29-Jährige schließlich aus dem Imbiss, die Rechten jagten hinter ihm her. An der Ecke Lübecker Straße/Bremer Straße entdeckte er jedoch seine Freunde, schrie um Hilfe und rannte auf sie zu. Als der Betroffene seine Freunde erreicht hatte und sich umdrehte, erhielt er von dem späteren Angeklagten sofort einen Faustschlag gegen sein Kinn. Bei dem gleichzeitigen Versuch ihn zu treten, ging der Angreifer zu Boden. Währenddessen stürzten sich mehrere der Rechten auf die Freunde des Betroffenen, die sich verteidigen und die Angreifer schließlich in die Flucht schlagen konnten. Der Betroffene erlitt infolge des Angriffs u.a. eine Prellung am linken Sprunggelenk und leidet bis heute an den psychischen Folgen des traumatischen Erlebnisses.

Bereits wenige Tage nach dem Angriff hatte die Mobile Opferberatung die öffentliche Darstellung der rassistischen Hetzjagd durch die Polizei als angeblich von dem Betroffenen provozierte „Massenschlägerei“ zwischen Afrikanern und Deutschen scharf kritisiert. Zudem hatte die Polizei vor Ort neben den Personalien von vier Rechten auch die von 20 Männern und Frauen aufgenommen, die sich noch in dem nahe gelegenen Internetshop aufhielten und Fotos und Filmaufnahmen von allen Anwesenden gefertigt. Ein Vorgehen, das die Betroffenen als diskriminierend werteten, da es sich bei dem Internetshop nicht um den Tatort handelte und offensichtlich die Hautfarbe das Kriterium zur Personalienfeststellung darstellte. Infolge der Medienberichterstattung nach der Pressemitteilung der Polizei marschierten zwei Tage nach dem Angriff rund 60 Neonazis in unmittelbarer Nähe des Internetshops auf und skandierten Parolen mit der Forderung nach „Ausweisung von kriminellen Ausländern“.

„In einem Bundesland wie Sachsen-Anhalt, das seit Jahren bei politisch rechts motivierter Gewalt bundesweit an der Spitze liegt, kommt der konsequenten Berücksichtigung der Tatmotivation und strafrechtlichen Aufarbeitung solcher Taten durch die Justiz eine besondere Bedeutung zu“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Denn „eine Verharmlosung rechter Gewalt ermutigt die Täter und deren Umfeld weiter zuzuschlagen und erschüttert zugleich das Vertrauen potenziell Betroffener in Polizei und Justiz nachhaltig.“ Zuletzt waren Ende März und Anfang April 2010 in Magdeburg mehrere junge Männer rassistisch beschimpft und attackiert worden (siehe auch www.mobile-opferberatung.de).