Anlaufstelle Süd (Halle), 24.06.2013

Mobile Opferberatung kritisiert Verharmlosung der Tat und langen Zeitraum bis zum Prozessbeginn – Beginn: Do., 27.06.13, 9:00 Uhr, Landgericht Halle, Hansering 13, Saal 123

Am 27. Juni 2013 beginnt am Landgericht Halle vor der 6. Großen Strafkammer (Jugendkammer) der Prozess gegen drei zur Tatzeit 18-, 24- und 31-jährige Rechte wegen eines brutalen rassistischen Angriffs auf zwei Familien während der „Eisleber Wiese“ im April 2012.
Was als entspannter Ausklang einer Verlobungsfeier geplant war, wurde für die in Lutherstadt Eisleben (Mansfeld-Südharz/ Sachsen-Anhalt) wohnhaften Familien und den aus Berlin angereisten Verlobten zum Albtraum: Der 32-jährige Palästinenser war gerade mit seiner Verlobten und ihren Eltern sowie einer befreundeten Familie, darunter drei Kinder (2, 7 und 12 Jahre), auf dem Frühlingsfest angekommen, als er plötzlich einen Schlag auf den Kopf erhielt und zu Boden ging. Danach schlugen die Angreifer mit einem Teleskopschlagstock und einem Bierglas immer wieder gezielt auf den Betroffenen ein.

Im weiteren Verlauf wurden auch alle anderen Erwachsenen der Gruppe angegriffen und verletzt. Die Schwiegermutter des Palästinensers wurde dabei mehrfach so massiv mit ihrem Kopf auf den Fußboden geschlagen, dass sie das Bewusstsein verlor. Seine 22-jährige Verlobte wurde von einem der Angreifer zu Boden getreten und dort weiter geschlagen und getreten. Die Angreifer hörten erst auf, als jemand rief, dass die Polizei käme. Diese nahm noch vor Ort einen 18-Jährigen fest. Der 32-jährige Palästinenser musste u.a. mit Nasen- und Jochbeinfraktur mit dem Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen und dort stationär behandelt werden. Die anderen Betroffenen mussten zum Teil ebenfalls stationär behandelt werden.

Die Ermittlungsbehörden gingen zunächst von dem Verdacht eines versuchten Tötungsdeliktes aus. Die Staatsanwaltschaft Halle entschied sich dann jedoch, nur wegen gefährlicher Körperverletzung zu ermitteln. Sie beantragte trotz der Tatschwere und einer laufenden Bewährungsstrafe eines Beschuldigten keine Haftbefehle. Stattdessen ließ sie in der Ermittlungsakte Daten der Beschuldigten schwärzen, die angegeben hatten, Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der „Ausländer“ zu haben. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung zur Dokumentation der Verletzungen der Betroffenen wurde hingegen nicht angeordnet.

Schwer traumatisiert und aus Angst vor erneuten Angriffen blieb den Familien nur, Eisleben zu verlassen. Sie wohnen mittlerweile in anderen Bundesländern. An den körperlichen, aber vor allem psychischen Folgen des Angriffs leiden die Betroffenen bis heute.

Erst acht Monate nach dem Vorfall erhob die Staatsanwaltschaft Halle Anklage beim Amtsgericht Eisleben. Nach einer Intervention der Nebenklage und massiver öffentlicher Kritik verwies das Amtsgericht den Fall ans Landgericht Halle.

„Das Verhalten der Ermittlungsbehörden im Fall Eisleben zeigt, dass die Debatte um die Fehler in Fällen rassistisch motivierter Gewalt ganz offensichtlich an Teilen von Polizei und Justiz vorbeigegangen ist“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Dass sich die mutmaßlichen Angreifer nun vor dem Landgericht Halle verantworten müssen, macht den Betroffenen Hoffnung, dass die Schwere des Angriffs und seine Folgen doch noch sorgfältig aufgearbeitet werden. Gleichzeitig bedeuten die bevorstehenden Aussagen vor Gericht eine Reaktualisierung des traumatischen Geschehens. „Die psychische Belastung für die Betroffenen ist enorm“, so die Sprecherin weiter.

Die Betroffenen treten in dem Prozess als Nebenkläger_innen auf und werden anwaltlich vertreten. Für den Verhandlungsauftakt sind 3 Zeug_innen geladen, darunter zwei der Betroffenen. Mit einem Urteil wird erst im September gerechnet. Bis dahin sollen 28 Zeug_innen gehört werden. Als Fortsetzungstermine sind bisher der 28.06. (9:00 Uhr), 05.07., 26.07. (jeweils 8:30 Uhr), 29.07., 05.08. (jeweils 9:00 Uhr), 26.08. (13:00 Uhr) sowie der 16.09. (9:00 Uhr) geplant.

Achtung Bildberichterstatter_innen: Wir bitten im Namen der Betroffenen darum, auf Film- bzw. Bildaufnahmen von ihnen zu verzichten. Für Interviews stehen Ihnen die Nebenklägervertreter_innen sowie die Mobile Opferberatung zur Verfügung.