Anlaufstelle Süd (Halle), 11.02.2014
Nebenklage und Mobile Opferberatung kritisieren Ausblendung des rassistischen Hintergrunds durch Staatsanwaltschaft – Beginn: Dienstag, 18. Februar 2014, 9:00 Uhr, Landgericht Magdeburg, Saal A 23
Nach dem brutalen, lebensgefährlichen Angriff einer Gruppe Neonazis auf einen Imbissbetreiber in Bernburg Ende September letzten Jahres beginnt am Dienstag, dem 18. Februar, um 9:00 Uhr vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Magdeburg die Verhandlung gegen neun, größtenteils aus Schönebeck stammende Angeklagte. Die Staatsanwaltschaft wirft den überwiegend einschlägig vorbelasteten Männern im Alter zwischen 24 und 33 Jahren versuchten Totschlag, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung in drei Fällen sowie teilweise auch Beleidigung vor.
Mit schwersten Kopfverletzungen musste der 34-Jährige im Krankenhaus notoperiert werden und lag zwei Wochen im Koma. Nur die schnelle intensivmedizinische Behandlung und mehrere Operationen retteten sein Leben. Noch in Tatortnähe konnte die Polizei neun Verdächtige feststellen und vorläufig festnehmen. Einen Tag nach dem Angriff wurden drei der Beschuldigten wegen dringenden Tatverdachts des Totschlags in Untersuchungshaft genommen; im November 2013 ein weiterer Mann wegen eines Haftbefehls.
Auch der heute 28-jährige Angeklagte Francesco L. – der bereits 2006 u.a. als Haupttäter der rassistischen Misshandlungen an einem 12-jährigen Schwarzen Deutschen in Pömmelte (Salzlandkreis) zu einer dreieinhalbjährigen Jugendstrafe verurteilt worden war – sitzt mittlerweile in Haft. Bereits im März 2012 hatten er und weitere Neonazis zwei alternative Jugendliche in einer S-Bahn nach Schönebeck angegriffen und verletzt. Drei Wochen vor dem Angriff in Bernburg war ein diesbezügliches Urteil des Landgerichts Magdeburg zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe rechtskräftig geworden. Allerdings hatte es die Staatsanwaltschaft Magdeburg versäumt, daraufhin einen Haftbefehl gegen den bekennenden Neonazi zu beantragen.
Mitte November 2013 erhob die Staatsanwaltschaft Magdeburg Anklage wegen versuchten Totschlags zum Landgericht Magdeburg. Die Anwält_innen des Imbissbetreibers und seiner Freundin kritisierten daraufhin scharf, dass die rassistische Dimension der Tat nicht erkannt werde. Und beantragten die Eröffnung des Verfahrens wegen versuchten Mordes aus rassistischen Beweggründen sowie – gemäß den Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages – die Übernahme des Falles durch die Bundesanwaltschaft. Mit Bekanntgabe des Eröffnungsbeschlusses erteilte das Landgericht Magdeburg daraufhin Mitte Dezember den rechtlichen Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Betracht käme, sollte sich im Prozess „Ausländerhass“ als leitendes Motiv beweisen lassen.
„Das Verfahren hätte bereits von der Staatsanwaltschaft Magdeburg an den Generalbundesanwalt abgegeben werden müssen. Stattdessen wird von dieser die rassistische Dimension der Tat verharmlost. Weil unmittelbar vor dem Angriff zunächst die Freundin meines Mandanten beleidigt wurde, soll es schlicht ein unpolitischer Angriff von betrunkenen Männern gewesen sein. Dass rassistische Parolen den Angriff auf den Betreiber des Dönerimbiss begleiteten, wird von der Staatsanwaltschaft ausgeblendet“, kritisiert Sebastian Scharmer, Nebenklägervertreter des 34-Jährigen. „Im Sinne der Betroffenen hoffen wir, dass wenigstens das Gericht nun alles unternimmt, um das Motiv für die Tat umfassend aufzuklären und zu würdigen“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Denn: „Eine Verharmlosung der tödlichen Dimension rassistischer Gewalt ist für Betroffene und potenziell Betroffene unerträglich, verunsichert sie zusätzlich und wird zugleich von den Täter_innen und ihrem Umfeld als Ermutigung verstanden, weiter mit entgrenzter Gewalt zuzuschlagen“.
Der Hauptbetroffene ist für den 10. März, 13:00 Uhr geladen; 15:00 Uhr soll der ebenfalls verletzte Helfer des Betroffenen aussagen. Drei Tage davor, am 7. März um 9:00 Uhr, soll bereits die Freundin des Imbissbetreibers gehört werden. Für den Prozessauftakt sowie den Folgetermin sind demgegenüber keine Zeugen geladen, um den Angeklagten die Möglichkeit auf rechtliches Gehör zu geben. An den darauffolgenden Verhandlungstagen sollen dann zunächst mit dem Fall befasste Polizeibeamt_innen und Richter gehört werden. Bislang sind insgesamt 10 Verhandlungstage fest und drei weitere vorsorglich terminiert (Fortsetzungstermine 20., 21.02., 03., 07., 10., 13, 14., 17., 21.03. sowie 24., 26. und 28.03, jeweils ab 9:00 Uhr, Saal A 23).
Achtung Bildberichterstatter_innen:
Wir bitten im Namen der Betroffenen darum, auf Film- bzw. Bildaufnahmen von ihnen zu verzichten. Für Interviews stehen Ihnen nach Möglichkeit die Nebenklägervertreter_innen der Betroffenen sowie die Mobile Opferberatung zur Verfügung.