Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 22.03.2006
Am Freitag, den 24. März 2006, ab 9:15 Uhr, werden vor dem Amtsgericht Wernigerode die Plädoyers und eventuell das Urteil im Prozess gegen den 21jährigen Emanuel R. erwartet, einem mehrfach wegen brutaler Gewaltdelikte vorbestraften und zuletzt zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilten Neonazi aus Wernigerode.
Die Beweisaufnahme in dem Prozess, der seit Anfang März vor dem Amtsgericht Wernigerode stattfindet, ergab, dass Emanuel R. innerhalb von vier Monaten im Sommer 2005 eine einfache und acht gefährliche Körperverletzungen gegen Punks und Nicht-Rechte in Wernigerode und Umgebung verübte. Die Angriffe verliefen immer nach dem gleichen Muster:
Die Opfer – Jugendliche und junge Erwachsene, die durch ihr Outfit als Punks oder Nicht-Rechte erkennbar waren – wurden u.a. als „Assis“ und „Zecken“ beschimpft, mit gezielten Schlägen zu Boden gebracht und dann am Boden liegend mit Springerstiefeln solange gegen den Kopf und ins Gesicht getreten, bis sie sich nicht mehr bewegten.
Alle Opfer trugen Kopfverletzungen davon, in drei Fällen mussten die Betroffenen als Notfälle mit dem Rettungswagen in Kliniken gebracht werden.
Da beim Amtsgericht lediglich Haftstrafen bis zu vier Jahren verhängt werden können, haben Nebenklagevertreter nun die Abgabe des Verfahrens ans Landgericht Magdeburg beantragt. Vor Gericht beschrieben einige Opfer, dass die gezielten Tritte in Kopf und Gesicht bei ihnen Todesangst und Panik auslösten.
Emanuel R., der sich bei öffentlichen Auftritten – beispielsweise bei einem Angriff von Neonazis auf eine linke Demonstration am 1. Oktober 2005 in Halberstadt gerne mit einem T-Shirt mit aufgedrucktem Maschinengewehr und der Aufschrift „Hausbesuche“ zeigt – , macht aus seiner rechten Gesinnung keinen Hehl. Er war u.a. Aktivist der neonazistischen Wernigeröder Aktionsfront (WAF), die sich offenbar aus Angst vor Repressionen nach seiner Festnahme Anfang Oktober 2005 offiziell auflöste. Seitdem haben sich in Wernigerode aus dem gleichen Personenkreis ein Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten (JN) und eine Gruppe „Freier Nationalisten“ gebildet. So erschienen u.a. der stellvertretende Landesvorsitzende der JN, Michael Schäfer, sowie der NPD-Kreisvorsitzende Matthias Heyder zur Unterstützung von Emanuel R. im Prozess.
Anhand des Prozesses gegen Emanuel R. wird deutlich, dass Neonazis in Wernigerode und Umgebung seit Anfang des Jahres 2005 systematische Hetzjagden gegen alle diejenigen durchführen, die nicht ins rechte Weltbild passen. Sie agieren dabei nach dem Muster der als kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB verurteilten Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), die nach ihrem Verbot durch das sächsische Innenministerium ebenfalls unter dem Deckmantel der NPD und JN weitermachen.
Die Mobile Opferberatung kritisiert Versäumnisse der Staatsanwaltschaft Halberstadt: Schon unmittelbar nach dem zweiten in diesem Verfahren angeklagten Angriff auf einen Punk am Hornberger See am 25. Juni 2005, hatte das Opfer Emanuel R. eindeutig als Täter benannt. Emanuel R. befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Bewährungszeit – was sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft bekannt gewesen sein musste. Trotzdem konnte Emanuel R. ungehindert weiter zuschlagen. Das änderte sich erst, als im Zuge der Ermittlungen wegen rassistischer und neonazistischer Sprühereien an einem Hotel Mitte August 2005 in Tanne bei Wernigerode eine eigene Ermittlungskommission des Polizeipräsidiums Halberstadt gebildet wurde. Erst dreieinhalb Monate nach der eindeutigen Identifizierung Emanuel R.s als Täter durch eines seiner Opfer und fünf weitere gewaltsame Angriffe später wurde er in Untersuchungshaft genommen.
Die Angriffe im einzelnen:
Im Anschluss an das Oesigfest in Blankenburg werden in der Nacht vom 11. Juni 2005 zwei Nicht-Rechte junge Erwachsene auf dem Nachhauseweg von einer mindestens vierköpfigen Gruppe von Rechten verfolgt, beschimpft und dann mit Faustschlägen und Tritten angegriffen. Beide Betroffene erlitten dabei u.a. Kopfverletzungen.
Am Vormittag des 25. Juni 2005 wird ein 21jähriger Punk am Hornberger See beim Zelten überfallen: Der Betroffene wird erst zu Boden geschlagen, dann wird in insgesamt drei Anläufen mit Stiefeltritten gegen den Kopf und den Oberkörper getreten und im Gesicht verletzt; zudem schlägt ihm der Angreifer zuletzt einen Beutel mit leeren Glasflaschen auf den Kopf, als er bereits blutend am Boden liegt. Der Betroffene erleidet u.a. Schnittverletzungen am Hals und im Brustbereich, ein Schädel-Hirn-Trauma, einen Nasenbeinbruch, Platzwunden und Hämatome. Die Verletzungen sind so schwer, dass er als Notfall in ein Krankenhaus eingeliefert werden muss.
Am frühen Morgen des 21. Juli 2005 wird einem Betroffenen in Wernigerode mit voller Wucht eine Bierflasche über den Kopf geschlagen, weshalb er stationär behandelt werden muss. Eine dauerhafte Hörschädigung ist nur eine Folge der Tat.
In den Morgenstunden des 4. September 2005 wird in der Pfarrstraße in der Wernigerode ein offensichtlich der Punkszene zugehöriger Jugendlicher von acht bis zehn Neonazis angegriffen und durch Fußtritte an den Kopf verletzt.
Am 10. September 2005 kommt es in der späten Nacht in Wernigerode zu einer Hetzjagd von mindestens zwei Dutzend Rechten auf Jugendliche und junge Erwachsene, die nicht zur rechten Szene gehören. Die Rechten fahren, teilweise mit Baseballschlägern bewaffnet, auf der Suche nach potenziellen Opfern mit Autos durch die Stadt. Zwei nicht-rechte junge Männer werden dabei u.a. durch gezielte Stiefeltritte gegen den Kopf und Schläge mit Baseballschlägern massiv verletzt.
In der Nacht vom 11. September 2005 wird ein nicht-rechter junger Mann durch die Halberstädter Straße in Wernigerode gejagt, mit Bierflaschen beworfen und durch Stiefeltritte in den Rücken und Faustschläge ins Gesicht verletzt.