Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 23.05.2006

Amtsgericht Halberstadt bezeichnete rechten Angriff als „normale Herrentagstour“

Das „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ des Bundesinnenministeriums verleiht heute in Berlin u.a. Denis Bohnstedt und Gerald Eggert aus Halberstadt eine Auszeichnung als „Botschafter der Toleranz“. Beide Männer waren verletzt worden, als sie in Halberstadt am sogenannten „Herrentag“ 2005 einem Flüchtling aus Liberia zur Hilfe kamen, der nachmittags von einem halben Dutzend Rechter über den Bahnhofsvorplatz gejagt wurde.

Das Amtsgericht Halberstadt verurteilte am 11. Mai 2006 lediglich drei der Täter: den 30jährigen Marco H. und den 27-jährigen Guido L. zu Bewährungsstrafen und den 25-jährigen Michel S. zu einer Haftstrafe von drei Jahren. Michel S. war u.a. wegen einem rechten Propagandadelikt und sechs Körperverletzungsdelikten vorbestraft. Bei der Urteilsverkündung verneinte Amtsrichter Selig eine rechte oder rassistische Motivation für den Angriff und erklärte, es habe sich vielmehr um „eine normale Herrentagstour“ gehandelt. Die Staatsanwaltschaft Halberstadt hatte den Angeklagten u.a. gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Den Angriff auf Gerald Eggert, der die Gruppe der Täter zur Beweissicherung fotografierte und deshalb von den Rechten ebenfalls verletzt wurde, hatte die Staatsanwaltschaft Halberstadt aus nicht nachvollziehbaren Gründen überhaupt nicht zur Anklage gebracht.

Durch die Anhörung von rund 30 Zeugen in der Hauptverhandlung wurden die Anklagevorwürfe im wesentlichen bestätigt: zudem berichteten mehrere Zeugen übereinstimmend von dem Angriff der Rechten auf Gerald Eggert. Aus den Zeugenaussagen ergibt sich folgendes Bild: Am Nachmittag des 5. Mai 2005 hatte eine Gruppe von sechs bis acht Rechten, die zuvor in einer Gaststätte mit dem als Sänger der Neonaziband Skinheads Sachsen-Anhalt (SSA) bekannten Peter Karich an einer sogenannten „Herrentagsfeier“ teilgenommen hatten, am Bahnhof Halberstadt zunächst den 36jährigen James B. aus Liberia gejagt. Der Asylsuchende versuchte vergeblich, sich in ein Taxi am Bahnhof zu flüchten. Der Taxifahrer weigerte sich, den verängstigten Mann vor den Angreifern in Sicherheit zu bringen. Auch ein halbes Dutzend Passanten und weitere Taxifahrer, die die Hetzjagd der Rechten auf den Betroffenen beobachteten, intervenierten nicht.

Hilfe fand der Liberianer schließlich bei Denis Bohnstedt, einem 32jährigen uniformierten Beamten der Bundespolizei, der auf dem Weg zur Arbeit die Hetzjagd bemerkte. Der Beamte bot dem liberianischen Mann Schutz an. Als er den Flüchtling in sein Auto in Sicherheit bringen wollte, griff die Gruppe der Rechten erneut an. Die Angreifer zerschlugen eine Flasche auf den Kopf des Liberianers und traten und schlugen dann auf ihr am Boden liegendes Opfer ein. Trotz mehrfacher Rufe des Beamten, die Polizei zu verständigen, reagierten auch jetzt Passanten und Taxifahrer nicht. Auch der 32jährige Beamte wurde mit Faustschlägen, Fußtritten und Flaschen derart attackiert, dass er zu Boden ging. Dann wurde er von den Angreifern am ganzen Körper getreten. Beide Betroffenen erlitten u.a. schwere Kopfverletzungen.

Vier couragierte Männer, die erst zu diesem Zeitpunkt auf den Angriff aufmerksam wurden, verhinderten dann, dass die Rechten sich seelenruhig vom Tatort entfernen konnten. Dabei wurde Gerald Eggert, einer der Hilfeleistenden, ebenfalls von den Rechten durch Schläge massiv verletzt.

Bei Michel S., einem der Täter, handelt es sich um einen bekennenden, gewaltbereiten Neonazi, der die zur Last gelegten Angriffe während einer Bewährungszeit verübte. Michel S. ist bereits ein halbes Dutzend Mal wegen Körperverletzungsdelikten zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, die bis dato immer wieder zur Bewährung ausgesetzt wurden. Vor Gericht bemühte sich der Angeklagte, die Tätowierung des neonazistischen Codes „14 Words“ auf seiner linken Halsseite zu verdecken. Die so genannten „14 Worte” stehen als neonazistisches Bekenntnis zu einer sogenannten weißen Vorherrschaft für die Parole eines inhaftierten us-amerikanischen Neonaziterroristen „Wir müssen das Überleben unseres Volkes und auch eine Zukunft für weiße Kinder sichern.“

„Wir freuen uns sehr über die Auszeichnung für Denis Bohnstedt und Gerald Eggert,“ so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Die beiden Männer haben Hilfe geleistet, als fast alle anderen weggeguckt haben und sind ein hohes persönliches Risiko eingegangen.“ Eine offensichtlich rassistisch motivierte Hetzjagd als „normale Herrentagstour“ zu bezeichnen, wie es das Amtsgericht Halberstadt in diesem Fall getan hat, so die Sprecherin weiter, sei jedoch unbegreiflich. „Offenbar meint das Gericht damit, es sei normal, dass am sogenannten ‚Herrentag’ Menschen nicht-deutscher Herkunft angegriffen werden. Die Motivation der Täter beruht auf rechten und rassistischen Einstellungsmustern und muss als solche benannt werden. Alles andere wäre eine Verharmlosung rechter Gewalt.“