Anlaufstelle Süd (Halle), 17.11.2006
Prozessbeginn: Dienstag, den 21. November 2006, 9.00 Uhr, Saal 90, Landgericht Halle, Hansering 13, 06108 Halle -Fortsetzungstermin: Mittwoch, den 22. November 2006, 9.00 Uhr
Der rassistische Angriff auf einen damals 38-jährigen Sudanesen liegt nunmehr vier Jahre zurück: Am 27. September 2002, kurz vor Mitternacht, wurde der Student in Halle an der Haltestelle Rannischer Platz plötzlich von zwei ihm unbekannten Männern u.a. mit „Du Neger!“, „Was machst du hier?“ und „Du stinkst!“ beschimpft. Als der Betroffene darauf nicht reagierte, schlug ihm einer der Männer mit voller Wucht eine Bierflasche ins Gesicht, während der andere ihm in den Bauch trat.
Der Betroffene sackte unter den Schlägen der Angreifer zusammen und verlor offenbar kurzzeitig das Bewusstsein. Während er am Boden lag, hörte der Sudanese, wie eine Frauenstimme mehrmals „Halt!“ rief. Als er stark im Gesicht blutend und benommen aufschaute, hatten die Täter von ihm abgelassen. Zwei Passanten – eine junge Frau mit ihrem Vater – hatten den Angriff von der anderen Straßenseite aus bemerkt und waren dem Betroffenen zu Hilfe geeilt. Wenige Augenblicke später traf eine zufällig vorbeifahrende Polizeistreife vor Ort ein und konnte beide Angreifer vorläufig festnehmen. Der Betroffene musste stark an der Lippe blutend, mit einer Schwellung am Hinterkopf und Bauchschmerzen mit der Notfallambulanz ins Krankenhaus gebracht und u.a. die tiefe Schnittverletzung an der Lippe genäht werden.
Nachdem das Amtgericht Halle Stefan J. und den einschlägig vorbestraften Steve C. am 6. März 2006 nach zweitägiger Hauptverhandlung wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen von 15 und 18 Monaten auf Bewährung und der Ableistung von jeweils 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt hatte, legten die Angeklagten Berufung ein. Am kommenden Dienstag – neun Monate nach der erstinstanzlichen Verurteilung – wird deshalb die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Halle beginnen. Für den darauffolgenden Mittwoch, den 22. November 2006, ist ein weiterer Verhandlungstermin vorgesehen.
Noch heute leidet der Betroffene an den Folgen des Angriffs. „Dieser Anschlag hat mein Leben verändert“, so der heute 42-jährige Betroffene. So war dem Sudanesen die Weiterführung seines Studiums aufgrund der psychischen Folgen nicht mehr möglich. Aus Angst vor weiteren rassistischen Angriffen zog er schließlich aus Halle weg. Eine Verarbeitung des Erlebten wurde ihm auch durch die schleppende Strafverfolgung der Täter erheblich erschwert. Obwohl die Staatsanwaltschaft Halle bereits Ende Februar 2003 Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung gegen die heute 27-Jährigen Tatverdächtigen erhob, kam es erst Anfang März 2006 vor dem Amtsgericht Halle zur Verurteilung. Ein erster Prozess im Dezember 2005 war ausgesetzt worden, weil ein DNA-Gutachten fehlte. Hierin wurde schließlich durch das LKA festgestellt, dass der Hauptanteil der Spuren am Flaschenhals nahezu zweifelsfrei von Stefan J. stammt.
„Den Betroffenen beschäftigt bis heute die Frage, warum er angegriffen wurde,“ so Zissi Sauermann von der Mobilen Opferberatung. Im ersten Prozess vor dem Amtsgericht Halle hatten sich die Angeklagten nicht zu den Vorwürfen geäußert und den Prozess äußerlich emotionslos verfolgt. „Außerdem ist es für ihn nicht nachvollziehbar, dass die Justiz so lange braucht, um die Täter strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen“ so Zissi Sauermann weiter. Rechtsanwältin Silke Studzinsky, die den Betroffenen als Nebenkläger in dem Prozess vertritt, meint dazu: „Die lange Verfahrensdauer erschwert die juristische Aufarbeitung des Angriffs und somit auch eine angemessene Bestrafung der Täter erheblich.“ So ist einer der beiden direkten Tatzeugen mittlerweile verstorben. Da die Verfahrensverzögerung überwiegend durch die Justiz verursacht wurde, wird die verstrichene Zeit zwischen Tat und Verhandlung vom Gericht zu Gunsten der Angeklagten gewertet werden.