Mobile Opferberatung, 29.04.2020

Heute vor 20 Jahren rief Helmut Sackers die Polizei, als ein neonazistischer Nachbar lautstark das Horst-Wessel-Lied abspielte. Eine Stunde später verblutete er an vier Messerstichen, die ihm sein Nachbar zugefügt hatte. Der 60-jährige Helmut Sackers, der aus Liebe zu seiner Lebensgefährtin seinen Lebensmittelpunkt von Kleve nach Halberstadt verlegt hatte, war überzeugter Sozialdemokrat; er hat an Toleranz und Demokratie geglaubt. Für diese Werte hat Helmut Sackers sein Leben gelassen.

Bei der Festnahme fanden die Ermittler bei dem Naziskin über 80 zumeist indizierte CDs mit neonazistischen Kampfliedern, etliche Kassetten und Videos aus Produktionen des Neonazinetzwerks „Blood&Honour“ und 90 Hefte mit Neonazi-Propaganda u. Mordaufrufen gg. politische Gegner.
Ein halbes Jahr später sprach das Landgericht Magdeburg den Angeklagten wegen „Notwehr“ frei. Dies war nur deshalb möglich, weil die politischen Hintergründe der Tat komplett ausgeblendet wurden u. die Staatsanwaltschaft Halberstadt als Ermittlungsführerin komplett versagte.
Mithilfe von Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck gelang es der Familie von Helmut Sackers, vor dem Bundesgerichtshof einen neuen Prozess durchzusetzen. Doch bis zum Beginn dauerte es vier Jahre: Die Erinnerung vieler Zeugen war inzwischen verblasst – ein wichtiger Zeuge gar verstorben.
Nach siebenmonatiger Verhandlung beantragte die Staatsanwaltschaft Halle eine sechseinhalbjährige Haftstrafe wg. gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Umso größer war der Schock, als der Angeklagte im Apr. 2005 wegen „intensivem Notwehrexzess“ erneut freigesprochen wurde.
Der Tod von Helmut Sackers blieb ungesühnt. Er wurde stattdessen durch die Justiz zum Täter gemacht. Und der Freispruch hat noch eine weitere Konsequenz: Die Landesregierung Sachsen-Anhalts weigert sich bis heute, Helmut Sackers als Todesopfer rechter Gewalt anzuerkennen.
Weitere Details finden Sie und Ihr auf unserer Erinnerungswebsite und in unserem dazugehörigen Bildungsmaterial.

In Erinnerung an Helmut Sackers, den langen Kampf um Gerechtigkeit und ein würdiges Gedenken

Gastbeitrag von Heike Kleffner, 29.04.2020

 

Vor 20 Jahren starb Helmut Sackers in Halberstadt an vier tödlichen Messerstichen eines neonazistischen Überzeugungstäters, nachdem der 60-jährige Sozialdemokrat Helmut Sackers zuvor die Polizei gerufen hatte. Der Neonazi hatte in seiner Wohnung so lautstark das Horst Wessel Lied – die SA-Hymne – gespielt, dass es im ganzen Plattenbau zu hören war. Helmut Sackers hatte sich schon zuvor mehrfach wegen der Nazi-Musik seines Nachbarn aus der Generation der 1990er Baseballschlägerjahre beschwert. Helmut Sackers starb, weil er in den Augen des Täters ein politischer Gegner, ein „Kommunist“ war.

Es gibt viele Gründe, an Helmut Sackers zu erinnern und seiner zu gedenken, einige davon sollen hier genannt werden:

  • weil Helmut Sackers Zivilcourage gegen Neonazis zeigte – und für seine demokratischen Werte und Überzeugungen einstand und dafür mit dem Leben bezahlte;
  • weil seine Angehörigen über Jahre einen vergeblichen Kampf um Gerechtigkeit geführt haben – und dennoch die Hoffnung hatten, dass niemand mehr nach ihnen mit dem schrecklichen Verlust ihre*r Liebsten durch rechten Terror, Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt konfrontiert sein möge;
  • weil die Straflosigkeit für den Täter beispielhaft für die strafrechtliche Aufarbeitung von vielen schwersten politisch rechts, rassistisch und antisemitisch motivierten Gewalttaten steht: Dass Betroffene rechter Gewalt vor Gericht keine Gerechtigkeit zu erwarten haben – daran hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren leider wenig geändert;
  • weil das Gedenken an Helmut Sackers für mich auch persönlich ist: Zwanzig Jahre nachdem meine journalistischen Recherchen für die Frankfurter Rundschau Helmut Sackers zum ersten Mal als Todesopfer rechter Gewalt öffentlich bekannt gemacht haben, hoffe ich – trotz allem – , dass seine Zivilcourage und die Beharrlichkeit seiner Angehörigen auch weiterhin für viele Menschen eine Inspiration und Ermutigung sein werden.

Heike Kleffner ist Journalistin und Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.)