Mobile Opferberatung, 29.12.2020
In der konkreten Arbeit der Mobilen Opferberatung zeigt sich immer wieder, dass sich Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt nicht auf den Rechtsstaat verlassen können. Drei Beispiele zu Strafprozessen in 2020 aus Burg, Oschersleben und Halle veröffentlichen wir – mangels zeitlicher Ressourcen anstatt eines Newsletters – zum Jahresende: Verfahren nach eindeutig rassistisch und neonazistisch motivierten Angriffen, in denen Gerichte dennoch Rassismus nicht als Tatmotiv erkennen wollten (AG Burg), in denen ein bekennender Neonazi mit einer Bewährungsstrafe nach einem brutalen Angriff auf die Wohnung eines Antifaschisten davon kam (AG Oschersleben) oder in dem zivilcouragierte Helferinnen vor Gericht zu Täterinnen gemacht wurden (LG Halle). In 2021 wollen wir Euch und Sie dann – wie gewohnt – auch wieder mit Hilfe unseres Newsletters „informationen“ über die Arbeit der Mobilen Opferberatung informieren.
VOR GERICHT I: Amtsgericht Burg negiert Kausalität zwischen rassistischer Beleidigung und darauf folgendem Angriff
Mehr als 18 Monate, nachdem ein Mann aus Burkina Faso in der Regionalbahn von einem Mitreisenden zunächst rassistisch beleidigt und nach dem Aussteigen mit einem Teleskopschlagstock angegriffen und verletzt wurde, wurde der Täter im Oktober 2020 zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren auf drei Jahre Bewährung und einer Geldzahlung von 300 Euro an den Weißen Ring verurteilt. Eine rassistische Tatmotivation erkannte das Amtsgericht Burg jedoch nicht.
Der Betroffene war am 25. März 2019 mit dem Regionalexpress von einem Bewerbungsgespräch aus Magdeburg nach Burg zurückgefahren, hatte allerdings keine gültige Fahrkarte dabei. Als dies dem Schaffner bei der Kontrolle auffiel, mischte sich ein Mitreisender ein. Er beleidigte den Betroffenen mit dem N-Wort und fügte hinzu, dieser sei hier „nicht in Afrika“. Der Betroffene wehrte sich, indem er den Unbekannten darauf hinwies, dass er den Umstand der fehlenden Fahrkarte mit dem Schaffner kläre und er sich da raushalten solle. Auch ein älteres Ehepaar kritisierte die rassistischen Äußerungen.
Nachdem sowohl der Betroffene als auch der Beleidiger in Burg ausgestiegen waren, griff dieser überraschend zu seinem Teleskopschlagstock und verletzte den 36-Jährigen sowohl am Kopf als auch an der Hand. Bis heute leidet der Betroffene deshalb an einem blockierten Handgelenk. Anschließend fuhr der Angreifer mit einem Auto davon. Geistesgegenwärtig schrieb der Verletzte das KfZ-Kennzeichen mit einem Stein auf den Boden und rief die Polizei.
Ein couragierter Zeuge interveniert
Dass der Angriff überhaupt so detailliert vor dem Amtsgericht verhandelt werden konnte, ist einem couragierten Zeugen zu verdanken, der im Zug sitzend die Situation mitbekam und den Angriff mit seinem Handy filmen konnte. Dann benachrichtigte er den Schaffner, der sich aber weigerte, den ausfahrenden Zug zu stoppen – und nicht mal die Polizei alarmieren wollte.
Schließlich fragte der Zeuge andere Mitreisende, ob sie die Situation beobachtet hätten und organisierte einen gemeinsamen Ausstieg der Zeugen am nächsten Bahnhof. Nicht zuletzt durch sein Video sowie seine und die Aussagen anderer Mitreisender konnte der Angriff vor Gericht eindeutig geklärt und der Täter verurteilt werden. Gegen den Schaffner ermittelt die Staatsanwaltschaft noch wegen unterlassener Hilfeleistung.
Verharmlosung der Tat durch Amtsgericht Burg
Obwohl das Amtsgericht Burg die gefährliche Körperverletzung als solche verurteilte, konnte der Vorsitzende Richter keine rassistische Tatmotivation erkennen. Zwar sei die Beleidigung des Angeklagten klar rassistisch. Darauf aufbauend könne sich aber nicht automatisch eine rassistische Haltung bei der Tatausführung ergeben.
Auch die vorherige Ausführung des Anwalts des Betroffenen, dass diese Tat „so niemals einem weiß-deutschen Mitreisenden passiert wäre“, fand bei der Verurteilung keine Erwähnung. Für den Verletzten bleibt so die bittere Konsequenz, dass das Gericht sich weigerte, Rassismus als Tatmotiv anzuerkennen und – wie mit der Reform von § 46 Absatz 2 Satz 2 Strafgesetzbuch seit 2015 explizit klargestellt – auch schärfend zu würdigen.
Umso notwendiger ist die durch das Bundesjustizministerium im Rahmen des Ende November 2020 vorgelegten Maßnahmenkatalogs zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus angekündigte Umsetzung einer Forderung der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt: Eine Anwendungsstudie zur Wirksamkeit der Reform in Auftrag zu geben.
—
VOR GERICHT II: Bewährungsstrafe nach brutalem Wohnungs-Angriff durch Amtsgericht Oschersleben
Eineinhalb Jahre, nachdem vier Neonazis einen Antifaschisten und sozialpolitisch Engagierten in seiner Wohnung überfallen hatten, verurteilte das Amtsgericht Oschersleben im Oktober 2020 einen zur Tatzeit 30-jährigen, extrem Rechten zu einer Bewährungsstrafe. Seine drei Mittäter konnten bis heute nicht ermittelt werden.
Am 10. April 2019 dringen gegen 0:30 Uhr vier Personen gewaltsam in die Wohnung des zu dieser Zeit schlafenden 22-jährigen Robert W. (Name geändert) ein und stürmen in sein Schlafzimmer. Unter Bedrohungen und Beschimpfungen schlagen drei der vier Täter unvermittelt auf den im Bett liegenden Robert W. ein. Der 22-Jährige schilderte im Herbst 2020 als Zeuge vor dem Amtsgericht Oschersleben, wie er durch einen lauten Knall wach wurde und dann verzweifelt versuchte, sich mit der Bettdecke vor der Wucht der Schläge zu schützen. Während drei der Angreifer nach den Worten „Sowas machst du nicht nochmal!“ ungehemmt mit Fäusten auf Körper und Gesicht des Betroffenen einprügelten, verwüstete ein vierter die Wohnung. Anschließend flohen die Angreifer.
Ziel des Überfalls: Einschüchterung eines bekennenden Antifaschisten
Ausgangspunkt des Angriffs: Ein Pressefoto des Neonazi-Fackelmarsches in Magdeburg am 6. April 2019. Darauf hatte Robert W. Neonazis aus Oschersleben als Teilnehmer des Aufmarsches erkannt und daher einen Screenshot des Fotos in seinen WhatsApp-Status gestellt. Obwohl dieser nur für befreundete Kontakte einsehbar gewesen sei, habe der Angeklagte ihm, darauf bezugnehmend, über Facebook gedroht, dass dies noch ein Nachspiel haben würde. Wie der Neonazi überhaupt seine Mobilnummer und somit Einblick in seinen privaten WhatsApp-Status erlangen konnte, sei ihm bis heute unklar, so Robert W. vor Gericht.
Weiter schilderte der Betroffene, dass er noch am Abend vor dem Überfall auf die Bedrohung des späteren Angreifers reagiert und Strafanzeige auf dem Polizeirevier erstattet hatte. Nur einige Stunden später kam es dann zu dem gezielten Überfall auf seine Wohnung. Nachdem die Täter geflüchtet waren, habe er eine Nachbarin gebeten, die Polizei zu alarmieren, so Robert W. vor Gericht. Noch unter Schock habe er seine Schwester informiert.
In der Nähe seiner Wohnung konnte die Polizei noch eine Person feststellen, die zwar eine leichte Handverletzung aufwies, jedoch nicht mit der Tat in Verbindung gebracht werden konnte. Anders war dies beim Angeklagten, der durch seine vorherige Bedrohung bereits seine spätere Tatbeteiligung angedeutet hatte. Diese gestand er dann später auch ein, weigerte sich aber, seine Mittäter zu benennen.
Lang anhaltende, psychische Folgen
Vor Gericht schilderte Robert W. auch eindrücklich, wie sehr die Folgen des Angriffs seinen Alltag bis heute beeinträchtigen: Zwar sind die erheblichen Kopfverletzungen und Wunden am Oberkörper inzwischen verheilt. Doch bis heute verlässt Robert W. aus Angst vor weiteren Angriffen ab 22 Uhr die Wohnung nicht mehr. Die ersten zehn Tage nach dem Überfall hatte er bei seiner Schwester außerhalb von Oschersleben verbracht.
Als er in seine Wohnung zurückkehrte, habe er mehr als ein halbes Jahr lang jede Nacht aus dem Fenster nach Personen Ausschau gehalten. Jedes Geräusch habe Panikzustände ausgelöst, sodass er kaum eine Nacht habe durchschlafen können. Die kurz nach der Tat angebrachten Sicherheitsvorkehrungen an seiner Tür seien zwar eine Hilfe. Doch die Angst, in seinen privaten, vermeintlich geschützten Räumen nicht mehr sicher zu sein bleibt. Sich von den Neonazis einschüchtern lassen und dem Druck nachgeben will er trotz allem nicht. Deshalb hat sich Robert W. bewusst dafür entschieden, weiterhin in Oscherleben und auch in seiner Wohnung zu bleiben.
Tatmotivation nicht berücksichtigt
Zu Beginn des Prozesses am Amtsgericht Oschersleben verkündete der Angeklagte, dass er sich zum Sachverhalt nicht äußern werde. Stattdessen ließ er durch seinen Verteidiger ein eher dürftiges Geständnis verlesen. Trotz mehrfacher Nachfragen weigerte sich der heute 31-Jährige weiterhin, seine Mittäter zu nennen. Als der Nebenklägervertreter vortrug, der Angeklagte wäre noch im Juni 2020 der Facebookseite der „Autonomen Nationalisten Magdeburg“ gefolgt, erwiderte der Angeklagte grinsend: Wenn ihm die Facebookseite gefalle, like er diese eben auch.
Einzig und allein der Nebenklage ist es zu verdanken, dass die offensichtliche, rechte Motivation für die Tat im Gerichtsprozess thematisiert wurde. So sprach die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer lediglich von „einem rücksichtslosen Überfall“. Und auch der Richter verlor kein Wort zu den politisch rechts motivierten Beweggründen des Angeklagten. Er wurde wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, die aufgrund positiver Sozialprognose auf drei Jahre Bewährung ausgesetzt wurde. Daneben muss der Angeklagte 200 Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten, dem Betroffenen ein Schmerzensgeld in Höhe von 2500 Euro zahlen sowie die Prozess- und Nebenklagekosten tragen. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.
—
VOR-GERICHT III: Täter-Opfer-Umkehr nach Intervention gegen rassistische Gewalt in Straßenbahn am Landgericht Halle (Saale)
Eine Woche nach dem rechtsterroristischen Anschlag vom 9. Oktober 2019 in Halle (Saale) zeigen drei junge Frauen Zivilcourage: Sie intervenieren bei einem rassistischen Angriff in der Straßenbahn. Zwei von ihnen werden dabei selbst verletzt. Ein Jahr später wird hierzu am Landgericht Halle verhandelt. Der Prozess mündet jedoch in einer unerträglichen Täter-Opfer-Umkehr und Freisprüchen aus tatsächlichen Gründen.
Frauen zeigen bei rassistischen Angriffen Zivilcourage
Am Abend des 17. Oktober 2019 zieht eine junge Frau in der Straßenbahn kurz vor der Haltestelle Steintor die Notbremse. Der Anlass: Ein Fahrgast hatte im hinteren Teil der Bahn drei Schwarze Männer rassistisch beleidigt, den „Hitlergruß“ gezeigt und sie auch körperlich attackiert. Eine 26-jährige Studentin, die bis dahin ganz vorne in der Bahn gesessen und Musik gehört hatte bemerkt, dass etwas nicht stimmt und nimmt ihre Kopfhörer aus den Ohren. Die Frau, welche die Notbremse gezogen hat, klopft an die Tür der Straßenbahnfahrerin und sagt, dass da hinten jemand People of Color rassistisch beleidige und angreife.
Die 26-Jährige lässt ihren Rucksack stehen, geht nach hinten und fragt den aggressiven und augenscheinlich alkoholisierten Angreifer, was das soll. Dann zieht sie den Mann mutig weg von den Betroffenen, drückt ihn gegen die Straßenbahntür und sagt, er solle aufhören, Leute zu beleidigen. Daraufhin beleidigt der Angreifer sie sexistisch. Sie drückt ihn ihn in den nächstgelegenen Sitz fordert ihn auf, sitzenzubleiben und still zu sein.
Dann geht die Studentin zu den drei Schwarzen Betroffenen und erkundigt sich bei ihnen, ob alles okay ist. Währenddessen steht der Angreifer auf und läuft, mit einer Bierflasche herumfuchtelnd und Alkohol verspritzend in den vorderen Teil der Bahn. Daraufhin interveniert eine 19-jährige Angestellte und Women of Color, indem sie ihm beherzt die Bierflasche aus der Hand nimmt. Der Unbekannte beschimpft nun auch sie rassistisch und greift sie körperlich an.
Die 26-Jährige eilt der 19-Jährigen zu Hilfe, wird aber von dem Angreifer an den Haaren zu Boden gezogen und dabei sexistisch beleidigt. Dann würgt er sie und schlägt sie gegen ihren Brustkorb. Der 19-Jährigen gelingt es zunächst nicht, den Täter von der Betroffenen wegzuziehen. Schließlich können die beiden Frauen den Mann mit vereinten Kräften abwehren. Als sich die Türen der Bahn öffnen, flüchtet der Angreifer, wird aber noch in Tatortnähe von der Polizei gefasst. Die 26-Jährige erleidet eine Schwellung am Auge, eine schmerzhafte Handverletzung, Schmerzen an der Brust sowie eine Prellung am Rücken und muss ambulant im Krankenhaus behandelt werden. Die 19-Jährige wird am Ohr verletzt.
Staatsanwaltschaft Halle stellt Verfahren ein
Zunächst war nicht absehbar, dass es überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung gegen den Angreifer kommt: Denn im Februar 2020 hatte die Staatsanwaltschaft Halle das Ermittlungsverfahren nach §154 Abs. 1 Strafprozessordnung eingestellt. Eine solche Einstellung ist zur Entlastung der Justiz u.a. dann möglich, wenn die zu erwartende Strafe neben einer anderen nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. Im Falle des Beschuldigten war dies eine mögliche Verurteilung wegen versuchten Totschlags, begangen nur wenige Tage nach den Angriffen in der Straßenbahn.
Zur Anklageerhebung kam es nur, weil sich die beiden Frauen nicht damit abfinden wollten, dass der massive rechte Angriff für den Täter folgenlos bleibt. So hatten ihre Anwältinnen die Staatsanwaltschaft Halle erst auf eine Richtlinie des Justizministeriums Sachsen-Anhalts zur Verfolgung politisch motivierter Straftäter aus dem Jahr 2011 hinweisen müssen, wonach “bei der Prüfung der Einstellung nach §153 bis 154 StPO die Auswirkungen der Tat auf das Opfer und das öffentliche Verfolgungsinteresse (…) besonders zu beachten“ seien und diese damit gezwungen, das Verfahren schließlich doch wieder aufzunehmen.
Täter-Opfer-Umkehr durch Staatsanwaltschaft Halle
Am 16. Oktober 2020 beginnt vor dem Landgericht Halle der Prozess gegen den mehrfach vorbestraften, zur Tatzeit 39-jährigen Angeklagten wegen Volksverhetzung, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie Beleidigung und Körperverletzung in jeweils zwei Fällen. An vier Verhandlungstagen werden insgesamt fünf Zeug*innen gehört, darunter Fahrgäste aus der Straßenbahn und ein psychologischer Gutachter. Sowohl die drei Schwarzen Betroffenen, welche nach dem Nothalt aus der Straßenbahn geflüchtet waren als auch die junge Frau, die die Notbremse gezogen hatte, waren nicht geladen, da ihre Identität nicht ermittelt werden konnte.
Bei der Beweisaufnahme spielen die Überwachungsvideos aus der Straßenbahn eine zentrale Rolle. Dabei geht es immer wieder um eine Situation: die Auszubildende nimmt dem Angeklagten seine Bierflasche ab, er fordert diese zurück. Bereits bei der Polizei hatte die heute 20-Jährige ausgesagt, dass der Angeklagte sie dabei rassistisch beleidigte und ihr eine Creole aus dem Ohr riss. Daraufhin habe sie sich gewehrt und in Richtung seines Gesichts geschlagen.
Auf den nicht sekündlich vorliegenden Überwachungsbildern ist dieser erste Angriff auf die damals 19-Jährige aber nicht zu sehen. Zu sehen ist nur, wie sie ihn abwehrt. Der Verteidiger des Angeklagten behauptet mit Verweis auf die Videos, dass die Nebenklägerin seinen Mandanten zuerst angegriffen habe. Als Verteidigungsstrategie ist das legitim. Überraschend ist jedoch, dass Staatsanwältin Gudrun Anacker dem Narrativ des Verteidigers folgt. Obwohl die Überwachungsvideos wenig aussagekräftig sind und neben der Studentin auch ein unabhängiger Zeuge den Angriff auf sie gesehen und vor Gericht bestätigt hat, plädiert die Staatsanwältin schlussendlich dafür, den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Mehr noch: Sie behalte sich vor, beide Nebenklägerinnen strafrechtlich zu verfolgen.
„Es ist gefährlich, wenn so ein Signal von der Justiz ausgeht.“
Im November 2020 geht der Prozess schließlich mit Freispruch wegen Volksverhetzung und Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen sowie Freispruch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und der Beleidigung aus rechtlichen Gründen zu Ende: So seien die potenziell volksverhetzenden Äußerungen des Angeklagten – entgegen der Aussage einer Zeugin vor Gericht – nicht hörbar gewesen und erfüllten somit nicht den Tatbestand der Volksverhetzung. Die Körperverletzungen gegen die beiden Frauen seien nicht sicher nachweisbar und nicht auszuschließen gewesen, dass der Angeklagte in Notwehr gehandelt habe.
Lediglich das Zeigen des „Hitlergrußes“ und die Beleidigungen der beide Frauen wollte das Gericht, auch aufgrund der Einlassung des Angeklagten, zweifelsfrei feststellen. Die Freisprüche erfolgten wegen einer für den Tatzeitpunkt festgestellten Schuldunfähigkeit infolge langjähriger Drogenabhängigkeit und damit zusammenhängender, psychischer Störung. Vor diesem Hintergrund war gegen den Angeklagten bereits Mitte Juni 2020 Maßregelvollzug angeordnet worden, nachdem er ebenfalls wegen Schuldunfähigkeit u.a. vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen worden war.
So drängte sich während der Verhandlung der Eindruck auf, dass das offensichtliche Desinteresse des Gerichts, die Tat vom 17. Oktober 2019 wirklich aufzuklären, darin begründet lag, dass die dahinterstehenden, rassistischen und sexistischen Motive aufgrund der psychischen Krankheit des Angeklagten und seiner im Raum stehenden Schuldunfähigkeit nicht Ernst genommen wurden. Und er sowieso auf unbestimmte Zeit in einem psychiatrischen Krankenhaus einsitzt. Einzig in ihrem Bestreben die beiden Nebenklägerinnen selbst anzuklagen, bremst die Kammer die Anklagebehörde.
Die Vertreterinnen der Nebenklage zeigten sich fassungslos über den Ausgang des Verfahrens. Die Urteilsbegründung komme einer Täter-Opfer-Umkehr gleich. „Es ist gefährlich, wenn so ein Signal von der Justiz ausgeht“, so Rechtsanwältin Nedelmann. Auch die Studentin ist schockiert: Es sei demütigend, dass die Staatsanwältin die Motive der eingreifenden Frauen in Frage stellte: „Das wird der Sache einfach nicht gerecht.“