VBRG e.V., 18.12.2020
„Im Gerichtssaal werde ich ständig daran erinnert, dass Recht und Gerechtigkeit nicht dasselbe sind.“ (Talya Feldman, Überlebende des Halle-Attentats im Schlusswort am OLG Naumburg)
Zur Urteilsverkündung im Prozess zum mörderischen antisemitisch, rassistisch und misogyn motivierten Attentats in Halle (Saale) stellen der Verband der Opferberatungsstellen, der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Bundesverband RIAS) e.V., OFEK e.V. – Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung sowie die prozessbegleitenden Dokumentations- und Rechercheplattformen NSU Watch, Zentrum für demokratischer Widerstand e.V. – democ.de und Belltower News die Forderungen der Überlebenden des Attentats durch die gemeinsame Veröffentlichung ihrer Schlussworte in den Mittelpunkt. Und sie erinnern an eine der zentralen Bitten der Überlebenden: dass die Berichterstattung auf die Namensnennung des Täters verzichtet und dabei dem Beispiel der neuseeländischen Medien zum Christchurch Attentat folgt.
„Wir wollen, dass jede und jeder einzelne Überlebende gehört wird. Denn eine effektive Strafverfolgung nach und Prävention von weiteren rechtsterroristisch, antisemitisch und rassistisch motivierten Attentaten und Angriffen ist nur möglich, wenn die Perspektiven der Überlebenden und Betroffenen im Mittelpunkt stehen: für die Ermittlungsbehörden, die Justiz, die mediale Berichterstattung und die Gesellschaft “, betont Antje Arndt vom Vorstand des VBRG e.V. und Projektleitung der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt. „Dazu gehört auch, dass die Strafverfolgungsbehörden – die Polizeien der Länder und das BKA sowie die Justiz – Konsequenzen aus ihren Fehlern nach den mörderischen Attentaten in Halle und Hanau sowie nach dem Mord an Walter Lübcke ziehen. Dies gilt sowohl für die mangelnde Sensibilität im Umgang mit den Überlebenden als auch die mangelnde Bereitschaft und Kompetenz, die on- und offline Netzwerke der Täter auszuermitteln.“
„Die Überwindung der extremtraumatischen Wirkung eines solchen Attentats hängt eng damit zusammen, wie das Umfeld, die Ermittlungsbehörden, die Gesellschaft, Politik und Medien darauf reagieren und wie die Tat aufgearbeitet wird“, sagt Marina Marina Chernivsky, Vorstandsmitglied und Geschäftsführung von OFEK e.V. „Dies kann nur gelingen, wenn die vielen einzelnen Entscheidungsträgerinnen und die hiesige Gesellschaft die Bereitschaft entwickeln, Antisemitismus und Rassismus sowie die Bedrohung durch die rechten Strukturen nicht nur einzusehen, sondern auch zu durchdringen und entsprechend zu handeln. Der Prozess in Magdeburg hat hier leider viele Leerstellen und Kompetenzlücken offenbart.“
„Nach dem Anschlag und während des Prozesses gab es zwischen Angehörigen unterschiedlicher Betroffenengruppen eine unglaublich wichtige Solidarisierung. So gelang es, die antisemitische und rassistische Ideologie des Täters, die auf Einschüchterung bis hin zur Vernichtung abzielt erfolgreich zu konterkarieren“, erinnert Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Bundesverbands RIAS e.V. „Alle, die sich gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus einsetzen, sollten den Nebenklägerinnen für ihren Mut und ihr gesellschaftliches Engagement dankbar sein.“
„Das Netzwerk der Solidarität, das die Überlebenden des mörderischen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsterrorismus in Halle, Hanau und Mölln aufgebaut haben, ermutigt viele Menschen, deren Leben durch Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt für immer beeinträchtigt ist, nicht aufzugeben und sich gemeinsam zur Wehr zu setzen,“ sagt Antje Arndt. Dies gelte auch für die solidarischen Initiativen, Projekte und Einzelpersonen, die den Prozess zum Halle-Attentat, die Überlebenden und Hinterbliebenen in Hanau und im OLG FrankfurtVerfahren zum Mordversuch an Ahmed I. und Dr. Walter Lübcke begleiten. Auf den folgenden Websites der Projekte und Initiativen, die den Prozess in den letzten vier Monaten begleitet und dokumentiert haben, finden Sie die Schlussstatements von Überlebenden des Anschlags auf die Synagoge und den Kiez Döner am 9. Oktober 2020 in Deutsch und Englisch: www.verband-brg.de, www.nsu-watch.info, https://democ./halle/ und https://www.belltower.news/halle-prozess/.
Kontakt für weitere Informationen:
Antje Arndt, Mitglied im Vorstand des VBRG e.V. und Projektleitung der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt: arndt@mobile-opferberatung.de