Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 22.11.2006

Weil eine wichtige Zeugin nicht geladen werden konnte, hat das Landgericht Magdeburg kurzfristig den ursprünglich für kommenden Donnerstag, den 23. November 2006 geplanten Auftakt des Berufungsprozesses gegen Jürgen Rieger verschoben. Der Prozess soll nun voraussichtlich im Januar 2007 beginnen.

Am 15. Januar 2005 fand in Magdeburg ein rechter Aufmarsch statt, an dem rund 1.000 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen, darunter auch in den ersten Reihen der Hamburger Neonazianwalt Jürgen Rieger. In der Anklage hatte die Staatsanwaltschaft Magdeburg dem seit drei Jahrzehnten als exponierten Multifunktionär der bundesdeutschen Neonaziszene bekannten 59jährigen Rieger vorgeworfen, im Verlauf des Aufmarsches gewaltsam gegen einen PDS-Kreisrat aus Sachsen vorgegangen zu sein, der sich am Rand der rechten Demonstration aufgehalten hatte. Dabei wurde der 30jährige Betroffene durch einen Faustschlag ins Gesicht verletzt.

Gegen einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Magdeburg, in dem diese wegen des Angriffs eine Geldstrafe in Höhe von 4.500 Euro verhängt hatte, legte der Neonazianwalt Widerspruch ein. In einer skandalösen Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Magdeburg am 19. Mai 2006 wurde der Jürgen Rieger dann allein aufgrund der Aussage eines Staatsschutzbeamten vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen. Das Gericht ignorierte in seinem Urteil die Aussage von drei ZeugInnen, die detailliert beschrieben, wie Jürgen Rieger auf den PDS-Kreisrat zugestürmt kam und ihn schlug. Zudem verwehrte das Gericht der Nebenklagevertreterin des Betroffenen, die neonazistischen Aktivitäten von Jürgen Rieger in den Prozess einzuführen; stattdessen bot das Amtsgericht Jürgen Rieger eine Plattform für seine revanchistischen und extrem rechten Tiraden über einen vermeintlichen „Bombenholocaust“ in Magdeburg.

Gegen den Freispruch für Jürgen Rieger legten zunächst sowohl die Staatsanwaltschaft Magdeburg als auch der völlig schockierte PDS-Kreisrat Berufung ein. Doch die Staatsanwaltschaft Magdeburg entschied sich dann – offenbar nach Rücksprache mit der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Sachsen-Anhalt – überraschend für eine Rücknahme der Berufung. „Mit dieser Entscheidung lassen die Strafverfolgungsbehörden in Sachsen-Anhalt erneut ein Opfer rechter Gewalt im Stich,“ kritisiert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Gleichzeitig wird damit Neonazis ein Freibrief ausgestellt, weiter gewaltsam am Rand ihrer Aufmärsche gegen BeobachterInnen und GegendemonstrantInnen vorzugehen.“

Der in Hamburg lebende Jürgen Rieger ist seit 1968 in der bundesdeutschen Neonaziszene aktiv und hat u.a. als Anmelder des jährlichen Rudolf-Hess-Gedenkmarsches in Wunsiedel eine wichtige Mittlerposition zwischen den unterschiedlichen Strömungen der extremen Rechten inne. Er ist u.a. Vorsitzender der rassistischen „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“ sowie Leiter der völkischen „Artgemeinschaft“. Als Verteidiger hat er schwerpunktmäßig Holocaustleugner vertreten und dabei selbst offensiv den Holocaust an den europäischen Juden abgestritten.

Der als jähzornig bekannte Rieger ist immer wieder auch strafrechtlich in Erscheinung getreten und wurde in der Vergangenheit u.a. wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt. Zuletzt bestätigte das Landgericht Verden im Oktober 2006 ein Urteil gegen den Neonazi Jürgen Rieger wegen der Bedrohung eines Journalisten. Rieger scheiterte mit seiner Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Rotenburg vom Juni 2005, das ihn zu einer Geldstrafe über 1600 Euro verurteilt hatte. Rieger hatte einem Journalisten gedroht, „wenn der Heisenhof brennt, dann brennst Du auch. Ich werde dich auf einen Grill legen und langsam durchbraten“. Zu der Bedrohung des Journalisten kam es, als Rieger alte Militärfahrzeuge zum rechtsextremen Treffpunkt Heisenhof (Niedersachsen) bringen wollte. Der Journalist hatte an einer roten Ampel Fotos gemacht.

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