Beratungsprojekte für Opfer rechter Gewalt in Ostdeutschland, 12.12.2008
Die Bundesregierung hat aktuell erklärt, seit 1990 hätten Sicherheitsbehörden insgesamt 40 Tötungsdelikte mit rechtem Hintergrund registriert. Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt halten diese Zahl für »falsch«. Sie gehen von mindestens 136 Todesopfern rechter und rassistischer Gewalt aus.
»Mit den jetzt veröffentlichten Zahlen der Bundesregierung wird die tödliche Dimension von Rechtsextremismus und Rassismus weiter verharmlost«, heißt es in einer Erklärung der Projekte aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin. Die Bundesregierung hatte in dieser Woche auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Petra Pau (DIE LINKE) hin die Zahl von 40 Tötungsdelikten seit 1990 genannt.
Mindestens vier Tötungsdelikte mit rechtem Hintergrund in diesem Jahr
Die Beratungsprojekte verweisen dabei auf vier Tötungsdelikte mit mutmaßlichem rechtem Hintergrund alleine im Jahr 2008, die nicht in den Zahlen des Bundes enthalten sind:
* Am 22. Juli 2008 wurde in der brandenburgischen Kleinstadt Templin ein 55-jähriger Mann getötet. In der Anklage der Staatsanwaltschaft Neuruppin gegen zwei Polizei bekannte Neonazis heißt es dazu unter anderem, das Tatmotiv für den Mord gründe in der rechtsextremen Gesinnung der Angeklagten.
* Am 1. August 2008 starb in Dessau (Sachsen-Anhalt) ein 50-jähriger Wohnsitzloser an den Folgen brutaler Misshandlungen, die ihm nach Ansicht der Sicherheitsbehörden durch zwei Männer im Alter von 24 und 33 Jahren zugefügt wurden. Bei den Durchsuchungen der Wohnungen der Tatverdächtigen fanden die Ermittler rechtsextreme Musik. Die Strafverfolgungsbehörden gehen davon aus, dass auch eine menschenverachtende Haltung gegenüber sozial Schwachen zur Tat geführt hat.
* Wenige Tage später, am 6. August 2008, tötete ein 35-Jähriger in Berlin-Marzahn einen vietnamesischen Mann mit mehreren Messerstichen. Zuvor hatte der Täter sein Opfer beraubt und als »illegalen Zigarettenhändler« bei der Polizei gemeldet. Er soll die Polizei aufgefordert haben, »etwas zu unternehmen«, anderenfalls würde er das selbst in die Hand nehmen. Der Täter hatte laut Medienberichten auch erklärt, »Fidschis« müssten verschwinden.
* Am 16. August 2008 wurde schließlich in Magdeburg der 20-jährige Rick L. nach dem Besuch einer Diskothek getötet. Als Tatverdächtiger muss sich seit Anfang Dezember ein 20-jähriger vorbestrafter und bekennender Neonazi vor dem Landgericht Magdeburg verantworten. Die Anklage geht u.a. davon aus, dass der angehende Kunststudent getötet wurde, weil er den Angeklagten als »Hobby-Nazi« bezeichnet haben soll.
»Fälle müssen erneut geprüft werden«
Nach eigenen Recherchen der Opferberatungsprojekte und der Ausstellung »Opfer rechter Gewalt« des Vereins Opferperspektive, in der 136 Todesopfer rechter Gewalt für den Zeitraum von 1990 bis 2005 aufgeführt sind, liegt die Zahl rechter Tötungsdelikte deutlich höher.
Beispielhaft verweisen die Beratungsprojekte auf den Tod des 48-jährigen Hartmut Balzke im Februar 2003 in Erfurt. Der 48-Jährige starb nach einem Angriff von Rechten auf Punks. Erst fünfeinhalb Jahre nach der Tat zog das Landgericht Erfurt im Sommer dieses Jahres einen zur Tatzeit bekennenden Rechten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zur Rechenschaft. »Das Urteil und der Prozess wurden erst vor wenigen Monaten bundesweit in den Medien kommentiert«, so die Projekte. »Wie es dazu kommt, dass die Thüringer Sicherheitsbehörden diesen Fall dem Bund nicht nachgemeldet haben, bleibt unerklärlich.«
Die Beratungsprojekte erinnern daran, dass Bund und Länder schon 2001 zugesichert haben, alle Tötungsdelikte mit mutmaßlich rechtem Hintergrund seit 1990 anhand der seit 2001 bundesweit gültigen Kriterien für »politisch rechts motivierte Kriminalität« erneut zu überprüfen sowie regelmäßige Nachrecherchen zu veranlassen.
»Jetzt stellt sich die Frage, ob die Kriterien für politisch rechts motivierte Gewalttaten bei Tötungsdelikten immer noch nicht flächendeckend umgesetzt werden«, so die Projekte. »Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, über die tödliche Dimension von Rechtsextremismus und Rassismus informiert zu werden. Die Angehörigen, Hinterbliebenen und FreundInnen der Toten haben ein Recht darauf, dass die Motivation der Täter klar benannt wird.«