Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 19.11.2007

Nach bisher fünf Prozesstagen sagt am kommenden Dienstag, den 20.11. 2007 die letzte der Betroffenen aus – Landgericht Magdeburg, Halberstädter Straße 8

Seit dem 09. Oktober 2007 wird am Amtsgericht Halberstadt, in den Räumen des Landgerichts Magdeburg, der Prozess gegen vier rechte Schläger verhandelt, die an dem brutalen Angriff auf das Theaterensemble in Halberstadt am 09. Juni diesen Jahres beteiligt gewesen sein sollen. Das 14-köpfige Theaterensemble wurde in den frühen Morgenstunden nach der Premiere ihres in Thale aufgeführten Stückes „Rocky Horror Show“ in Halberstadt angegriffen. Dabei wurden fünf männliche Mitglieder des Theaterensembles durch Faustschläge und Fußtritte so schwer verletzt, dass sie sich ambulant oder stationär im Krankenhaus behandeln lassen mussten. Die vier Angeklagten im Alter von 22 bis 29 Jahren sind einschlägig vorbestraft. Drei von ihnen standen zur Tatzeit unter laufender Bewährung.

Zur Prozesseröffnung sorgte Amtsrichter Selig mit seinem Eröffnungsbeschluss für eine unangenehme Überraschung. Entgegen der Anklage der Staatsanwaltschaft sah er keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen gemeinsamen Tatplan bzw. ein arbeitsteiliges Vorgehen der Täter und ließ die Anklage nicht wegen mittäterschaftlicher Körperverletzung zu. „Der Eröffnungsbeschluss des Richters wird im Laufe des Prozesses immer unhaltbarer“, so ein Sprecher der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt. „Alle Betroffenen, die bisher im Prozess ausgesagt haben, gaben übereinstimmend an, dass etwa 10 Täter am Angriff beteiligt gewesen waren. Zum Teil wurde zu zweit und zu dritt auf die Angegriffenen eingeschlagen und eingetreten. Einige der Betroffenen sprachen im Prozess davon, dass die Angreifer wie auf Kommando auf das Theaterensemble losgingen. Hier muss Richter Selig klarstellen, was noch für eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung erforderlich ist.“

Deutlich wurde im bisherigen Prozessverlauf, welche schwerwiegenden Folgen der rechtsmotivierte Angriff für die Betroffenen bis heute hat. „Auf einmal bin ich irgendwo aufgewacht, wo ich mich nicht erinnern kann, wie ich dahin gekommen bin“, so ein Betroffener, der im Zuge massiver Gewalteinwirkung bewusstlos wurde. Auf Grund zweier Schläge neben die Wirbelsäule ging er zunächst zu Boden. Dann wurde mit Springerstiefeln auf ihn eingetreten, schließlich verlor er das Bewusstsein. Der Betroffene leidet jetzt noch, etwa vier Monate nach dem brutalen Angriff, unter starken Rückenproblemen. Er befindet sich bis heute in ärztlicher Behandlung.

Trotz der eindrücklichen und konstanten Schilderungen der Betroffenen wird ihre Glaubwürdigkeit im Prozess immer wieder von den Verteidigern der Angeklagten, aber auch von Seiten der Staatsanwaltschaft, in Frage gestellt. Den Betroffenen wird unterstellt selbst den brutalen Angriff provoziert zu haben. Der Angeklagte Christian W. ließ am ersten Prozesstag über seinen Anwalt eine Einlassung verlesen, in der er zugab am Angriff beteiligt gewesen zu sein und sowohl zugeschlagen, als auch zugetreten zu haben. Außerdem gab er an, dass die drei anderen Angeklagten zur Gruppe der Angreifer gehörten. In seiner Erklärung war davon die Rede, dass es sich um eine „Auseinandersetzung“ gehandelt habe, der keine rechte Tatmotivation zu Grunde liege. Er habe sich von der Frage einer Betroffenen „Was guckst du so? Bist du schwul oder was?“ provoziert gefühlt und zugeschlagen. „Die Aussagen der bisher im Prozess vernommenen Betroffenen machen deutlich, das es sich nicht um eine Provokation gehandelt haben kann, die den brutalen Angriff ausgelöst hat“, so ein Sprecher der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt. „Die vermeintliche Provokation wurde aus einer Gruppe von drei Personen geäußert, die den späteren Opfern voraus liefen und von denen selbst niemand angegriffen wurde. Es ist schlicht unvorstellbar, wie die Frage einer Betroffenen an einen der späteren Täter zu einem solch brutalen Angriff führt, in dem etwa 10 Täter, die alle dem Äußeren nach der rechten Szene zugehören und die aus verschiedenen Richtungen zum Tatort hinzukommen, zu zweit und zu dritt auf das Theaterensemble einschlagen.“

„Die Ursache des Überfalls ist keinesfalls in der Äußerung einer Betroffenen, sondern im rechten Weltbild der Täter zu suchen“, so ein Sprecher der Mobilen Beratung für Opfer rech-ter Gewalt in Sachsen-Anhalt weiter. „Die Betroffenen wurden Ziel des Angriffs, weil sie nicht rechts sind und zufällig den Angeklagten und ihren Mittätern über den Weg liefen. Diese Einschätzung deckt sich mit unserer langjährigen Erfahrung in der Beratung und Unterstützung von Opfern rechter Gewalt. Mehr als zwei Drittel aller rechten Angriffe in Sachsen-Anhalt richten sich gegen Nicht-Rechte, Alternative, Punks, und vermeintliche politische Gegner. In den ersten drei Quartalen von 2007 zählte die Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt bereits 99 rechtsmotivierte Angriffe.“

Die nächsten Verhandlungstermine sind für den 28. November, sowie den 04., 05. und 19. Dezember 2007 jeweils um 9:15 Uhr angesetzt.