Anlaufstelle Mitte (Halle), 23.06.2004
Hauptangeklagter ist der ehemalige Vorsitzende des NPD-Kreisverbands Bitterfeld
Prozessbeginn: Donnerstag, den 24. Juni, 8:30 Uhr, Amtsgericht Dessau, Saal 224
Vor dem Amtsgericht Dessau beginnt am Donnerstag, den 24. Juni um 8:30 Uhr die Hauptverhandlung gegen drei Neonazis im Alter zwischen 19 und 26 Jahren. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten u.a. gefährliche Körperverletzung im Dessauer Hauptbahnhof vor.
Der Hintergrund: Am 1. Februar 2004 hatten ca. 10 bis 15 Rechtsextremisten eine Gruppe von neun nichtrechten Jugendlichen, darunter fünf junge Frauen, gegen 3 Uhr nachts in der Vorhalle des Dessauer Hauptbahnhofs extrem brutal angegriffen. Die Betroffenen warteten nach einem Konzertbesuch auf ihre Angehörigen, als plötzlich die Eingangstür des Hauptbahnhofs aufflog und eine Gruppe Vermummter mit Baseballschlägern, Eisenstangen und Hockeyschläger bewaffnet auf ihre 13- bis 17jährigen Opfer losstürmte. Zwei Betroffene mussten mit Kopfverletzungen stationär im Krankenhaus aufgenommen werden. Zwei weitere Betroffene wurden mit Kopfverletzungen ambulant behandelt.
Wenige Minuten vor dem brutalen Angriff im Dessauer Hauptbahnhof waren am UCI-Kinokomplex mehrere alternative Jugendliche von derselben Gruppe, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits teilweise vermummt hatte, angegriffen worden. Die Rechtsextremisten beleidigten und stießen ihre Opfer herum und schlugen einem jungen Mann mit einem Baseballschläger in den Unterleib. Nach Augenzeugenberichten hielt ein vorbeifahrendes Polizeiauto nicht an.
Bei den jetzt Angeklagten handelt es sich um die bekannten Neonazis Dennis D., ehemaliger NPD-Vorsitzender im Kreisverband Bitterfeld (Jahrgang 1978) sowie um Alexander W. und Stefan K. (beide Jahrgang 1985). Bislang ist in dem Prozess ein weiterer Verhandlungstermin am 1. Juli geplant.
„Unverständlich bleibt, warum lediglich drei Neonazis wegen des Angriffs im Dessauer Hauptbahnhof angeklagt sind und der Angriff auf die Gruppe nicht-rechter Jugendlicher vor dem UCI Kino bislang noch nicht aufgeklärt wurde,“ sagt Heike Kleffner von der Mobilen Opferberatung. Die Polizei hatte nach dem Angriff am Hauptbahnhof die Identität von elf mutmaßlichen Angreifern festgestellt.
Die Mobile Opferberatung kritisiert zudem die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei. Die Polizei Dessau hatte behauptet, bei dem rechtsextremen Angriff am Hauptbahnhof habe es sich um einen „Revanche-Akt“ der Rechten gegen „die linke Szene“ gehandelt. „Damit wird der brutale Angriff von Neonazis auf die nichtrechten Jugendlichen bewusst verharmlost und den Opfern eine Mitverantwortung unterstellt,“ so Heike Kleffner. „Rechte in Dessau gehen seit Jahren mit brutaler Gewalt gegen alle vor, die nicht ins rechte Weltbild passen – Flüchtlinge, MigrantInnen und alternative, linke oder nicht-rechte Jugendliche. So auch am 1. Februar 2004, als sich eine 10 bis 15köpfige rechtsextreme Gruppe zur Jagd auf alternative Jugendliche in der Dessauer Innenstadt verabredete. Die Täter handelten damit exakt nach dem neonazistischen Konzept der „Anti-Antifa“.“
Die „Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt“ beim Verein „Miteinander“ und die „Beratungsstelle für Opfer und potenzielle Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten“ beim „Multikulturellen Zentrum Dessau e.V.“ unterstützen Betroffene rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Sachsen-Anhalt und begleiten sie u.a. zu Prozessen.