Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 13.09.2004

Zum dritten Prozesstag soll einer der Polizisten aus Halberstadt gehört werden, die die Zeugen unmittelbar nach dem Tod von Helmut Sackers im Mai 2000 vernahmen. Am 2. Prozesstag hatte die Lebensgefährtin des Getöteten ausgesagt, wie Helmut Sackers den Notruf der Polizei anrief, weil er das laute Abspielen des Horst-Wessel-Lieds im Haus nicht dulden wollte. Thomas B., Freund des Angklagten und dessen Besucher am Tattag am 29. April 2000, verweigerte die Aussage zu der Frage, ob er gemeinsam mit dem Angeklagten Andreas S. damals das Horst-Wessel-Lied hörte. B. behauptete, er sei bei seiner anschließenden Vernehmung von der Polizei „unter Druck“ gesetzt worden.

„Kann mich nicht erinnern,“ weiß nicht“, „will mich nicht erinnern“, waren die Sätze, die während der Befragung von Thomas B. am zweiten Tag des Revisionsprozesses um den Tod des 60jährigen Helmut Sackers Prozesstag am häufigsten fielen. Thomas B. hatte am Nachmittag und Abend des Tattages gemeinsam mit dem Angeklagten Andreas S. in der Wohnung des Angeklagten einen Kasten Bier geleert und Musik gehört. Zu der Frage, um welche Musik es sich dabei gehandelt hatte, gab der 36jährige B. unterschiedliche Antworten. Zunächst beharrte er darauf, dass lediglich Metall und Hardcore-Musik gehört worden sei. Nachdem ihm seine Aussagen aus der polizeilichen Vernehmung wenige Tage nach dem Tod von Helmut Sackers vorgehalten wurden, änderte B. sein Verhalten im Zeugenstand.

Denn bei der polizeilichen Vernehmung im Mai 2000 hatte B. eingeräumt, dass er gemeinsam mit dem Angeklagten am Tattag des Horst-Wessel-Lied gehört habe. Zudem hatte er damals ausgesagt, dass es auf der Treppe des Plattenbaus gegen 22 Uhr zu einem Wortwechsel zwischen dem Angeklagten Andreas S. und Helmut Sackers gekommen war. Bei diesem Wortwechsel habe sich Andreas S. bei Sackers über dessen Anruf bei der Polizei wegen des Abspielen des Horst-Wessel-Liedes beschwert und gefragt, ob Sackers „Kommunist“ sei. Während B. nach mehrmaligem Befragen durch das Gericht in Halle nun einräumte, dass es diese Begegnung gegeben hatte, verweigerte er nach langem Hin- und Her mit Staatsanwalt und Richter die Aussage auf die Frage, ob denn tatsächlich an jenem Tag das Horst-Wessel-Lied gehört wurde. B. berief sich dabei auf §55 StPO, der besagt, dass man als Zeuge die Aussage verweigern darf, wenn man sich ansonsten einer Straftat bezichtigen würde. B. bezog sich offenbar auf §55 StPO, weil er in beiden Magdeburger Verfahren (vor dem Landgericht wegen des Todes von Helmut Sackers und vor dem Landgericht wegen Verstoß gegen §86a StGB, Volksverhetzung wegen des öffentlichen Hörens des Horst Wessel-Liedes) behauptet hatte, das Lied sei nicht gespielt worden.

Daran anschließend behauptete B., er sei vor vier Jahren von den Vernehmungsbeamten in Halberstadt unter Druck gesetzt worden, seine Aussagen seien ihm in den Mund gelegt worden. Auf Nachfragen des Gerichts, worin der Druck bestanden habe, konnte B. nichts substantielles vorbringen. Zudem gab B. nach langem Befragen zu, dass er sich vor jedem Prozess mit dem Angeklagten bislang getroffen hat. Was genau bei diesen Treffen gesprochen wurde, wollte B. nicht sagen. Nur dass er dem Angeklagten gesagt habe, er werde so wie in Magdeburg aussagen. Trotzdem steht die Aussage von B., der einräumte, mit seinen Aussagen seinem langjährigen Freund und Angeklagten helfen zu wollen, im Widerspruch zu den Angaben von Andreas S.. Der hatte in seiner Einlassung zum ersten Prozesstag erklärt, er habe B. seit Jahren nicht mehr gesehen.

Vor Thomas B. hatte Heide Dannenberg, die Lebensgefährtin des Getöteten, als Zeugin ihre Erinnerungen an den 29. April 2000 und die Umstände geschildert, die zum Tod von Helmut Sackers führten. Nach einem Ausflug war das Paar am frühen Abend in die Wohnung zurückgekehrt, wo die Musik aus der Wohnung von Andreas S. gegen 22 Uhr so laut zu hören gewesen sei, dass das Fernsehprogramm kaum noch verständlich gewesen sei. Dabei sei deutlich zu hören gewesen, dass es sich um rechte Musik im Marschrythmus gehandelt habe. Gegen 22 Uhr habe Helmut Sackers dann den Notruf der Polizei angerufen: „Bei uns im Haus werden Nazilieder gespielt, Horst-Wessel-Lied, ganz laut.“ Nach dem Versprechen „Wir gucken uns das mal an“ legte Helmut Sackers auf.

Nach Sackers Notruf fuhren zwei Streifenpolizisten zum Plattenbau am Stadtrand. Während eines sachlichen Gesprächs mit dem Wohnungsinhaber Andreas S. habe Helmut Sackers dabeigestanden und sehr bestimmt gesagt: „Spielst Du noch einmal Nazilieder, erstatte ich Anzeige!“ Danach sei ihr Lebensgefährte in die Wohnung zurückgekehrt, so Heide Dannenberg. Um Krach allein hätte man sich nicht weiter gekümmert. Sackers sei es um den Inhalt der Musik gegangen: „Der war eindeutig rechtsextrem.“ Schon einmal zuvor hatte Heide Dannenberg anonym Anzeige erstattet, weil aus der Wohnung von Andreas S. lautstarke rechtsextreme Musik zu hören war.

Eine halbe Stunde nach dem Polizeieinsatz habe Helmut Sackers mit dem Hund die Wohnung verlassen, so Heide Dannenberg. Als ihr Lebensgefährte nach längerer Zeit nicht in die Wohnung zurückkehrte und aus dem Parterrebereich des Hauses ein gellender Schrei zu hören gewesen sei, sei sie unruhig geworden und habe die Polizei angerufen. Wenig später wurde sie aus dem Polizeipräsidium zurückgerufen – man habe den Funkkontakt zu den Beamten im Haus verloren. Dann erhielt Heide Dannenberg die Aufforderung, den verstörten Hund in die Wohnung zurückzuholen. Im Treppenhaus sah sie auf einer Stufe ein Messer liegen, auf das sie einen Polizeibeamten aufmerksam machte. Trotzdem dauerte es noch eine weitere halbe Stunde, bis sie erfuhr, dass Helmut Sackers an vier Messerstichen im Eingang des Plattenbaus verblutet war.

Über den Beweisantrag zu den bei Andreas S. gefundenen rechtsextremen CDs und Propagandaheften , den der Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck zu Prozessbeginn gestellt hatte, entschied das Gericht bislang noch nicht.

Für den dritten Prozesstag am 21. September um 12 Uhr ist der Vernehmungsbeamte aus Halberstadt geladen, der Thomas B. im Mai 2000 vernommen hatte. Am 5. Oktober werden ab 14 Uhr weitere Polizeibeamte vernommen werden. Am 12.10. ab 8:30 Uhr soll die damalige Verlobte und jetzige Ehefrau des Angeklagten gehört werden, die als Hauptentlastungszeugin auftritt.