Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 05.12.2007
Seit dem 09. Oktober 2007 wird vor dem Amtsgericht Halberstadt, in den Räumen des Landgerichts Magdeburg, gegen vier rechte Schläger verhandelt. Ihnen wird vorgeworfen maßgeblich am brutalen Angriff auf das Theaterensemble in Halberstadt am 09. Juni dieses Jahres beteiligt gewesen zu sein. Das 14-köpfige Theaterensemble wurde nach der Premiere ihres in Thale aufgeführten Stückes „Rocky Horror Show“ in Halberstadt angegriffen. Dabei wurden fünf männliche Mitglieder des Ensembles durch Faustschläge und Fußtritte so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Der bisherige Gerichtsprozess offenbarte gravierende Fehler der am Tatort eingesetzten Polizeibeamten. Sie sind durch ihr Fehlverhalten in entscheidendem Maße mitverantwortlich für die schlechte Sachlage zu Beginn des Prozesses. Alle Betroffenen schilderten in ihren Aussagen vor Gericht übereinstimmend, dass die per Telefon verständigte Polizei mit viel zu wenig Beamten vor Ort war und zu spät ins Geschehen einschritt. Trotz mehrfacher Aufforderung seitens der Betroffenen wurden die Täter von der Polizei viel zu spät verfolgt und konnten dadurch fliehen. Auf die Bitte der ZeugInnen mit im Polizeiauto fahren zu können um nach den Tätern Ausschau zu halten, reagierten die Beamten nicht. „Wir haben uns alleine gelassen gefühlt“, sagte eine Betroffene dazu in ihrer Aussage vor Gericht.
Richtungsweisend für den Verlauf der Verhandlung war der Eröffnungsbeschluss von Amtsrichter Holger Selig. Er sah entgegen der Anklage der Staatsanwaltschaft keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen gemeinsamen Tatplan bzw. ein arbeitsteiliges Vorgehen der Täter. Aufgrund seiner Einschätzung kommt eine Verurteilung wegen Mittäterschaft nicht in Frage. „Wenn Richter Selig bei dieser Auffassung bleibt, wird das fatale Auswirkungen für den Ausgang des Prozesses haben. Allen vier Angeklagten müssen einzelne Tatbeiträge zugeordnet werden, was die Betroffenen aber nicht können, weil der Angriff so schnell verlaufen ist.“, so ein Sprecher der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt.
Doch nicht nur beim Einsatz der Polizeibeamten am Tatort, sondern auch bei den weiteren polizeilichen Ermittlungen zeigen sich im bisherigen Gerichtsprozess gravierende Fehler. Bei der polizeilichen Vernehmung einer Betroffenen weigerte sich die Vernehmungsbeamtin mit den Worten: „Das hat eh keinen Zweck, das muss jetzt nicht aufgeschrieben werden.“, dass von ihr ausführlich geschilderte polizeiliche Fehlverhalten zu protokollieren. Die Lichtbildvorlage durch die Vernehmungsbeamtin wurde außerdem mit den Worten: „Eigentlich hat es keinen Sinn, eigentlich kriegen wir die eh nicht.“ kommentiert. Die Betroffene, die von einem der Angreifer angespuckt worden war, wurde auch nicht darüber informiert sich für eine DNA-Probe nicht zu duschen. Hierdurch wurde die Probe unmöglich gemacht. Eine weitere Betroffene gab in ihrer Aussage an: „Mir wurde nicht der Eindruck vermittelt das dieses Polizeiprotokoll so wichtig ist.“ Diese Einschätzung wurde von zwei weiteren Betroffenen vor Gericht in Bezug auf ihre eigenen polizeilichen Vernehmungen bestätigt.
„Die polizeilichen Pannen versucht die Staatsanwaltschaft durch blinden Aktionismus auszugleichen“, so ein Sprecher der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt. Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung waren einige Betroffene noch nicht polizeilich vernommen. Ermittlungen, die weitere Zeugen ausfindig gemacht hätten, waren noch nicht abgeschlossen. Die RechtsanwältInnen der Nebenklage, die im Verfahren die Betroffenen des brutalen und rechtsmotivierten Angriffs vertreten, stellten am vergangenen Verhandlungstag, den 04. Dezember neue Beweisanträge. Sie beantragten u.a. einen Kassiber des Angeklagten Christian W. aus der Untersuchungshaft an seine Frau Jessica W. im Prozess verlesen zu lassen. In dem Brief fordert er sie auf „noch Zeugen zu besorgen“, die ihn wahrheitswidrig entlasten und aussagen, dass die Theatergruppe den Angriff begonnen und er sich nur gewehrt habe. Der Angeklagte bat seine Frau die Namen der Zeugen an seinen Rechtsanwalt zu geben, damit der diese Personen vor dem Gericht als Zeuge benennen könne.
„Für die Betroffenen ist dieser Prozess eine Zumutung“, so ein Sprecher der Mobilen Opferberatung. „Sie wurden stundenlang und zum Teil auf unverschämte Art und Weise von Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu den brutalen Details des rechtsmotivierten Angriffs befragt, so dass immer wieder der Eindruck entstand sie und nicht die Ermittlungsbehörden wären für die Pannen im Prozess verantwortlich. Mit der heutigen Haftentlassung wird ihnen außerdem zugemutet den vier Angeklagten in Halberstadt wieder zu begegnen.“
Als letzter Verhandlungstermin für 2007 ist der 19. Dezember um 9:15 Uhr am Landgericht Magdeburg, Halberstädter Straße 8, Saal 5 angesetzt. Der Prozess wird voraussichtlich bis April 2008 andauern.