Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 01.03.2006

Am 2. März 2006 beginnt am Amtsgericht Wernigerode der Prozess gegen den 21jährigen Emanuel R., einen mehrfach wegen brutaler Gewaltdelikte vorbestraften und zuletzt zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilten Neonazi aus Wernigerode. Die Anklage wirft Emanuel R. sieben gefährliche Körperverletzungen gegen Punks und Nicht-Rechte in Wernigerode und Umgebung vor, die im Sommer 2005 verübt wurden. Die Angriffe verliefen immer nach dem gleichen Muster: Die Opfer – Jugendliche und junge Erwachsene, die durch ihr Outfit als Punks oder Nicht-Rechte erkennbar waren – wurden als „Assis“ und „Zecken“ beschimpft, mit gezielten Schlägen zu Boden gebracht und dann am Boden liegend mit Springerstiefeln solange gegen den Kopf und ins Gesicht getreten, bis sie sich nicht mehr bewegten. Alle Opfer trugen Kopfverletzungen davon, in drei Fällen mussten die Betroffenen als Notfälle mit dem Rettungswagen in Kliniken gebracht werden.

Emanuel R., der sich bei öffentlichen Auftritten gerne mit einem T-Shirt mit aufgedrucktem Maschinengewehr und der Aufschrift „Hausbesuche“ zeigt, macht aus seiner rechten Gesinnung keinen Hehl. Er war u.a. Aktivist der neonazistischen Wernigeröder Aktionsfront (WAF), die sich offenbar aus Angst vor Repressionen nach seiner Festnahme Anfang Oktober 2005 offiziell auflöste. Seitdem haben sich in Wernigerode aus dem gleichen Personenkreis ein Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten (JN) – der Jugendorganisation der NPD – und eine Gruppe „Freier Nationalisten“ gebildet.

Öffentlich geben sich JN und die Freien Nationalisten als friedfertig und gefallen sich in der Opferrolle, indem sie beispielweise bei der Neonazi-Demonstration am 25. Februar 2006 in Schönebeck und bei einer Störaktion einer Veranstaltung mit der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth in Wernigerode am gleichen Tag ein Transparent mit der Aufschrift „Ihr kotzt uns an! Gegen Intoleranz, Medienhetze und Zeckenterror“ vor sich hertrugen. Anhand des Prozesses gegen Emanuel R. wird allerdings deutlich, dass Neonazis in Wernigerode und Umgebung seit Anfang des Jahres 2005 systematische Hetzjagden gegen alle diejenigen durchführen, die nicht ins rechte Weltbild passen. Sie agieren offenbar nach dem Muster der als kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB verurteilten Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), die nach ihrem Verbot durch das sächsische Innenministerium ebenfalls unter dem Deckmantel der NPD und JN weitermachen.

„Offensichtlich ist, dass die Staatsanwaltschaft Halberstadt eine Mitverantwortung für den ungebrochenen Straßenterror von Rechts trägt,“ sagt eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Schon unmittelbar nach dem zweiten Angriff auf einen Punk am Hornberger See am 25. Juni 2005, der Emanuel R. nun auch zur Last gelegt wird, hatte das Opfer Emanuel R. eindeutig als Täter benannt. Emanuel R. befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Bewährungszeit – was sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft bekannt gewesen sein musste. Trotzdem konnte Emanuel R. ungehindert weiter zuschlagen. Das änderte sich erst, als im Zuge der Ermittlungen wegen rassistischer und neonazistischer Sprühereien an einem Hotel Mitte August 2005 in Tanne bei Wernigerode eine eigene Ermittlungskommission des Polizeipräsidiums Halberstadt gebildet wurde. Erst dreieinhalb Monate nach der eindeutigen Identifizierung Emanuel R.s als Täter durch eines seiner Opfer und fünf weitere gewaltsame Angriffe später wurde er in Untersuchungshaft genommen.