Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 05.01.2007
Am 8. Januar 2007 beginnt am Amtsgericht Magdeburg der Prozess gegen die 19-jährige Anja M. und den 24-jährigen Steven R. wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, am 20. April 2006, einem von Neonazis als sog. „Führergeburtstag“ besonders begangener Tag, einen 39-Jährigen u.a. rassistisch beleidigt und angegriffen zu haben. Neben dem Betroffenen sind drei weitere Zeugen zu der öffentlichen Hauptverhandlung geladen.
Gegen 19.15 Uhr werden ein 39-jähriger gebürtiger Mosambikaner und sein 14-jähriger Sohn vor ihrem Wohnhaus in der Magdeburger Alten Neustadt zunächst von zwei jungen Frauen und einem Mann von der gegenüberliegenden Straßenseite aus mit rassistischen Sprüchen lauthals beleidigt. Der Familienvater und Sozialpädagoge, der bereits seit 17 Jahren in Deutschland lebt, schickt seinen Sohn nach oben in die Wohnung. Dann fragt er die drei, was das überhaupt solle. Die Unbekannten fahren mit ihren rassistischen Beleidigungen fort, werden immer aggressiver und drohen dem Betroffenen schließlich, er würde noch „etwas erleben“. Der 39-Jährige ruft über Notruf die Polizei. Als diese auch nach dem zweiten Anruf nicht vor Ort eintrifft, folgt der Betroffene dem sich entfernenden rechten Trio in einigem Abstand, um der Polizei zeigen zu können, wo sich die Gruppe aufhält. Als die drei in den Hinterhof eines Plattenbaus einbiegen, stoppt der Betroffene und ruft abermals die Polizei. Wie sich später herausstellte, hatte auf dem Hof eine größere Gruppe von offensichtlich Rechten „Geburtstag“ gefeiert.
Eine der Frauen kommt plötzlich mit zwei männlichen Begleitern aus dem Hinterhof zurück und geht auf den 39-Jährigen zu. Deshalb läuft er gefolgt von den Rechten zu seinem Wohnhaus zurück in der Hoffnung, nun endlich auf die alarmierte Polizei zu treffen. Als das rechte Trio den Pädagogen einholt und ihn beginnt anzugreifen, versucht dieser, die aggressive Situation zu deeskalieren, jedoch ohne Erfolg. Einer der Rechten schlägt dem Mosambikaner nach weiteren rassistischen Beschimpfungen und vorangegangenen Anstachelungen seiner „Lebenskameradin“ mit voller Wucht seine Faust ins Gesicht. Infolge dessen schwillt die linke Gesichtshälfte des Betroffenen und das linke Auge sofort zu. Erst nach etwa 20 Minuten treffen zwei Polizeibeamte vor Ort ein. Die Täter haben sich längst entfernt.
Die 18-Jährige und der 23-jährigen rechte Schläger können dennoch vorläufig festgenommen werden, weil sie mit ihren Freunden zufällig bei der Anzeigenaufnahme in ca. 50 Meter Entfernung die Straße passierten, um neues Bier kaufen zu gehen und dabei von dem Betroffenen erkannt werden. Nach der Festnahme werden die Rechten von der Polizei fotografiert. Dabei zeigt die junge Rechte noch in das Objektiv des Polizeifotografen hinein vollkommen ungeniert den sog. „Hitlergruß“.
Rechtsanwalt Scharmer, der die Interessen des Betroffenen als Nebenkläger vertritt, kritisiert den Polizeieinsatz als beispielhaft für die leider auch in vielen anderen ähnlichen Fällen gerade in Sachsen-Anhalt unzureichende Erstarbeit der Polizei: „Es verwundert nicht, dass sich die offensichtlich rechtsradikal orientierten Angeklagten in den noch hellen Abendstunden auf offener Straße so sicher fühlten, dass sie nach der ersten verbalen Attacke und in dem Wissen, dass die Polizei informiert war, einen zweiten Angriff starteten. Offenbar haben sie nicht mit dem Erscheinen von Polizeibeamten gerechnet. Das Auffinden der mutmaßlichen Täter ist vorliegend allein deren Dreistigkeit und vielmehr noch dem Zufall zu verdanken.“ Ein Sprecher der Mobilen Opferberatung meint dazu „Wäre die Polizei schneller vor Ort eingetroffen, hätte sie zumindest den körperlichen Angriff verhindern können.“