Mobile Opferberatung/ VBRG e.V., 18.02.2025

Said Nesar Hashemi, Hamza Kurtović, Ferhat Unvar, Sedat Gürbüz, Fatih Saraçoğlu, Gökhan Gültekin, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz und Kaloyan Velkov wurden am 19. Februar 2020 aus rassistischen Motiven ermordet.

Fünf Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau zieht der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt eine bittere Bilanz. Der Rechtsstaat und die Justiz in Hessen haben die Betroffenen mit ihren Forderungen nach Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit weitgehend im Stich gelassen. Dies zeigt sich insbesondere am Beispiel des Notrufversagens in der Nacht des Anschlags und des versperrten Notausgangs in der Arena-Bar.

Der Hessische Untersuchungsausschuss hat in seinem Abschlussbericht festgestellt, dass Vili Viorel Păun in der Tatnacht unter dem Notruf 110 niemanden erreichen konnte, weil das Notrufsystem für die Stadt Hanau hoffnungslos veraltet war und das Innenministerium und das Polizeipräsidium mehr als 15 Jahre lang eine Modernisierung mit einem sogenannten „Überlaufsystem“ versäumt hatten. Vili Viorel Păun wurde posthum vom Land Hessen mit einer Medaille für Zivilcourage geehrt. Doch strafrechtliche Konsequenzen für die verantwortliche Behördenleitung wird es trotz aller vorliegenden Beweise nicht geben. Nachdem die Eltern von Vili Viorel Păun wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung Ende 2024 erneut Strafanzeige gegen führende Polizeibeamte einreichten, stellte die Staatsanwaltschaft Hanau das Ermittlungsverfahren wenige Tage vor dem Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist ein.

Auch die Eltern von Hamza Kurtović haben Anfang Januar 2025 erneut Strafanzeige wegen des versperrten Notausgangs der Arena-Bar in der Tatnacht gestellt. Sie fordern weiterhin, dass die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zu strafrechtlichen Konsequenzen für die Verantwortlichen führen.

„Die Erfahrung, dass der Rechtsstaat den Hinterbliebenen und Überlebenden die gesamte Last der Aufklärung aufbürdet und gleichzeitig die Forderungen nach Konsequenzen ins Leere laufen, verstärken die traumatischen Folgen des Verlusts geliebter Menschen,“ betont Nouara Chergui vom Vorstand des VBRG e.V. „Erst wenn dem Wunsch nach Gerechtigkeit, dem Wunsch danach, dass aus dem Attentat Lehren gezogen werden, nachgekommen wird, kann für viele eine Heilung beginnen.

Dies zeigen auch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation der Beratungsangebote für die mehr als 80 direkt Betroffenen des Anschlags in Hanau. Die Studie unter der Leitung von ass. Prof. Dr. Karin Mlodoch vom Institut für psychologische Forschung an der Siegmund Freud Universität e.V. stellt fest: „Vor dem Hintergrund der komplexen Verschränkung von traumatischer Erfahrung, rassistischer Diskriminierung und Prekarität bei Betroffenen des Attentats haben diese auch weiterhin einen immensen Bedarf an sozialrechtlicher Beratung, Alltagsbegleitung, emotionaler Stärkung und psychologischer und psychotherapeutischer Traumabegleitung.“

„Gebraucht wird eine verlässliche, langfristig angelegte und finanzierte Beratungsstruktur, die den Betroffenen Stabilität und Verlässlichkeit vor Ort bietet“, sagt Liisa Pärssinnen, Leiterin der Beratungsstelle response, der Beratung für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Hessen in Trägerschaft des Evangelischen Regionalverbands Frankfurt und Offenbach. „Aufstockungen, die nach dem sogenannten ‚Gießkannen-Prinzip‘ bereitgestellt werden, sind in Hanau nicht die Lösung“.

„Das rassistische Attentat in Hanau hatte zerstörerische und langanhaltende Wirkung auf eine große Zahl von Bürger*innen von Hanau: Angehörige der Opfer, Überlebende, Zeug*innen, Ersthelfer*innen sowie deren Nachbar*innen, Freund*innen, Mitschüler*innen und deren Familien. Es veränderte ihre sozialen Strukturen, ihr Sicherheits- und Zugehörigkeitsgefühl. Hier bedarf es langfristiger, differenzierter und untereinander vernetzter Beratungs- und Unterstützungsangebote für die unter- schiedlichen Gruppen und Bedarfe von Betroffenen“, stellt die Studie fest. Ein solches Angebot sollte nicht nur als Bedarf, sondern als Recht der Betroffenen des Attentats in Hanau und als Teil der Anerkennung ihrer spezifischen Erfahrung von Leid, Unrecht und Diskriminierung durch Politik und Gesellschaft betrachtet werden.“

Hintergrund:

Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des traumasensiblen aufsuchenden sozialraumnahen Beratungsangebots und -teams für Attentatsbetroffene in Hanau (TASBAH)KurzfassungLangfassung: https://verband-brg.de/tasbah-studie-jetzt-veroeffentlicht/.

TASBAH ist ein Beratungs- und Unterstützungsangebot für Angehörige und Überlebende des rassistischen und rechtsterroristischen Attentats am 19. Februar 2020 in Hanau. Entstanden ist TASBAH aus der Vernetzung von Beratungs- und Unterstützungsstrukturen mit dem Ziel, Überlebende und Hinterbliebene durch ein traumasensibles, aufsuchendes und sozialraumnahes Beratungsteam und -angebot (TASBAH) bei der Bearbeitung der existenziellen und individuellen Folgen professionell vor Ort begleiten zu können.

Download: Pressemitteilung: Hanau – 5 Jahre danach: Opferberatungsstellen ziehen nach dem rassistischen Anschlag von Hanau eine bittere Bilanz und fordern eine langfristige Beratungsstruktur für Anschlagsbetroffene, 18.02.2025 (PDF)