Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 08.05.2004

Mit Haft- und Bewährungsstrafen zwischen acht und 18 Monaten kamen Ende April vier Rechte aus Halberstadt davon, die an dem schweren Überfall auf das soziokulturelle Zentrum ZORA e.V. in Halberstadt beteiligt gewesen waren. Dabei war ein 21jähriger Konzertbesucher schwer verletzt worden. Gegen den mutmaßlichen Haupttäter, Peter Karich, Sänger der Neonaziband „Skinheads Sachsen-Anhalt“ (SSA) und einen 15Jährigen soll im Sommer verhandelt werden.

Am Vorabend des rechtsextremen Rudolf-Hess-Gedenkmarsches 2003 in Wunsiedel hatte ein Dutzend Aktivisten der extremen Rechten gegen 3 Uhr nachts BesucherInnen der ZORA überfallen, nachdem sie zuvor schon einen Passanten angegriffen hatten und gewaltsam in ein alternatives Wohnprojekt eindringen wollten. In dem soziokulturellen Zentrum war gerade ein Ska-Konzert mit rund siebzig Besuchern zu Ende gegangen. Für die ZeugInnen begann der Angriff völlig unvermutet: „Plötzlich flogen Steine, Flaschen und Dachziegel,“ erinnert sich ein Anwesender. Ein 21jähriger Konzertbesucher erlitt schwere Gesichtsverletzungen, als die Rechten ihn mit Bierflaschen und Zaunlatten ins Gesicht schlugen.
Der Prozess vor dem Amtsgericht Halberstadt

Ein Dreivierteljahr nach dem Angriff gaben sich die vier Angeklagten „politisch neutral, Tendenz rechts angehaucht“ und selbstbewusst. An beiden Prozeßtagen erhielten sie Unterstützung von 30 bis 40 Rechten auf den Zuschauerbänken. Mit dabei: Mirko Appelt, führender Aktivist des militanten „SelbstSchutz Sachsen-Anhalt“ (SS-SA).

Die Betroffenen und die Mobile Opferberatung kritisierte die Verharmlosung der rechten Motivation für den Angriffszug durch die Staatsanwaltschaft. Zudem saßen bislang lediglich vier von rund 15 bis 20 am Überfall beteiligten Angreifern auf der Anklagebank.

Gegen den 31jährige mutmaßlichen Haupttäter Peter Karich, Sänger der neonazistischen Band „SSA“ aus Halberstadt, soll ab dem Sommer getrennt verhandelt werden. Nach dem Angriff auf die ZORA waren einer Wohnungsdurchsuchung bei ihm u.a. mehrere indizierte SSA-CDs mit dem Titel „Der Kampf hat begonnen“ beschlagnahmt worden. Bei anderen mutmaßlichen SSA-Mitgliedern wurden u.a. Neonazi-CDs, Hitlerfiguren, mehrere Hakenkreuzfahnen sowie größere Mengen an rechtsextremen Propagandamaterial gefunden.
Die Mobile Opferberatung wird auch den zweiten Prozess beobachten und die Termine auf der Website veröffentlichen.

Die Neonaziszene in Halberstadt – drei Generationen extremer Rechter

Schon Anfang der 90er Jahre gehörte Halberstadt zu denjenigen mittelgroßen Städten in der Harzregion mit einer ausgeprägten neonazistischen Szene. Halberstädter Neonazis beteiligten sich an den mehrere Tage andauernden Angriffen gegen das Flüchtlingsheim im nahegelegenen Quedlinburg im September 1992. Busladungen von Neonazi-Aktivisten aus Niedersachsen griffen bis Mitte der 90er Jahre gemeinsam mit Halberstädter und Quedlinburger Neonazis mehrfach das im Jahr 1990 von alternativen und linken Jugendlichen aufgebaute soziokulturelle Zentrum ZORA mit Baseballschlägern, Brandflaschen und Rauchgas an.

Mitte der 90er Jahre förderte die Stadtverwaltung die Einrichtung der „Puppenbühne“, ein Jugendclub für rechte Skinheads und Neonazis, in dem ein Sozialarbeiter und eine Sozialarbeiterin nach dem Konzept der „akzeptierenden Sozialarbeit“ arbeiteten. 1997 wurde die „Puppenbühne“ geschlossen; nach Einschätzung von Mitarbeitern der Kommune hatte das Konzept der „akzeptierenden Sozialarbeit“ vor allem zu einer Verfestigung rechter Strukturen geführt.

Für die Halberstädter Öffentlichkeit und Verwaltung schien sich Ende der 90er Jahre trotzdem ein Rückgang rechtsextremer Gewalttaten anzukündigen. Übersehen wurde dabei, dass einzelne Gruppen von rechtsextremen Jugendlichen und jungen Erwachsenen rings um ihre Treffpunkte mit Gewalttaten auffielen. So recherchierte die Mobile Opferberatung im August 2003, dass in der Halberstädter Unterstadt im September und November 1999 sechs jugendliche rechtsextreme Skinheads mehrmals Menschen u.a. mit Stahlrohren und Baseballschlägern zusammen geschlagen hatten. Die Opfer wurden zum Teil wahllos ausgesucht und trugen schwere Verletzungen davon, an deren Spätfolgen sie teilweise für den Rest ihres Lebens leiden müssen. So lag ein 29Jähriger nach einem Angriff am 24. September 1999 sechs Tage lang im Koma. Ein 22Jähriger, der am 5. November 1999 an einer Straßenbahnhaltestelle in Halberstadt von der Naziskin-Gruppe niedergeschlagen wurde, musste mit lebensbedrohlichen Kopfverletzungen stationär behandelt werden. Zwar hatten die Opfer ihre Angreifer als rechtsextreme Skinheads beschrieben, doch in der öffentlichen Wahrnehmung galt die sogenannte „Ententeich-Bande“ als eine von vielen „Jugendbanden“ ohne politische Verortung und rechtsextreme Einstellungen.

Zu Jahresbeginn 2003 etablierte sich in Halberstadt ein extrem rechter Laden namens „Ragnaröck“, in dem Kleidungs- und sonstige Accessoires für den rechten Lifestyle erworben werden können. Seit der Eröffnung des Ladens registrieren Beobachter einen Anstieg rechter Organisierung. Fester Bestandteil der extrem rechten Szene Halberstadts war nach Einschätzung des ReferentInnen-Teams von Miteinander e.V. und des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt zudem die neonazistischen Musikgruppe „SSA – Skinheads Sachsen Anhalt“, deren zwei Tonträger seit dem Jahresende 2003 indiziert sind und die einen weiteren Kristallisationspunkt für die örtliche extreme Rechte darstellt.

ZORA braucht Unterstützung

Das soziokulturelle Zentrum ZORA in Halberstadt ist eines der wenigen nicht-rechten Kulturprojekte in der Harzregion, wo seit über einem Jahrzehnt alternativer und nicht-rechte Jugendkulturen gefördert und Räume für vielfältige Aktivitäten geboten werden. (http://www.zora.de) Im Café International in der ZORA treffen sich beispielsweise Flüchtlinge aus der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZaSt) in Halberstadt und Asylsuchende aus Heimen der Umgebung mit BesucherInnen der ZORA und BeraterInnen.

Brutale Angriffe von Rechtsextremisten hat es in der Geschichte der ZORA oft gegeben; doch nicht nur die Gewalt von Rechts stellt eine Bedrohung für das soziokulturelle Zentrum und seine BesucherInnen dar. Existenziell gefährdet wird die Arbeit in der ZORA derzeit durch kommunale und landespolitische Sparmaßnahmen. Dabei sollte KommunalpolitikerInnen deutlich gemacht werden, dass die Mittelkürzungen von Seiten extremen Rechten als nachträglicher Erfolg des Angriffs gewertet werden. Die Mobile Opferberatung betont daher: „Es ist wichtig, dass KommunalpolitikerInnen und Verantwortliche öffentlich gegen rechte Gewalt und Rechtsextremismus Stellung zu beziehen. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, das dies aber auch die materielle Unterstützung für die Betroffenen beinhalten muss.“