Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 11.01.2006

Die Mobile Opferberatung hat in den ersten elf Tagen diesen Jahres acht Gewalttaten mit rechter und rassistischer Motivation in Sachsen-Anhalt registriert. Der Angriff von fünf Rechtsextremen auf den 12jährigen afrodeutschen Jugendlichen in der 700 Einwohner-Gemeinde Pömmelte bei Schönebeck am 9. Januar 2006 ist der sichtbarste Ausdruck der zunehmend entgrenzten Brutalität von Neonazis in Sachsen-Anhalt. Dabei wurde der Betroffene an einer Bushaltestelle u.a. durch drei polizeibekannte Rechtsextremisten schwer verletzt. Schon im Winter 2005 war der 12Jährige an der gleichen Bushaltestelle rassistisch motiviert angegriffen und geschlagen worden.

Pömmelte liegt im Einflussbereich der neonazistischen Kameradschaft Schönebeck. So hatten im August 2004 Aktivisten der Freien Kameradschaften sich nach einer rechten Wallfahrt zu Kriegerdenkmälern in Sachsen-Anhalt damit gebrüstet, öffentlich das SS-Kultlied „Wenn alle untreu werden…“ am Kriegsdenkmal im 700-Einwohnerort Pömmelte abgesungen zu haben.

Zu den politischen Zielen von Neonazis in Sachsen-Anhalt gehört es, rechte Dominanz im öffentlichen Raum und in den Jugendkulturen durchzusetzen. Dabei wenden Aktivisten und Sympathisanten aus dem Umfeld der Kameradschaften offensiv Gewalt an gegen alle, die nicht ins rechte Weltbild passen. Beispielhaft hierfür sind auch die acht rechten Gewalttaten seit Jahresbeginn 2006:

So wurden u.a. in Quedlinburg in den frühen Morgenstunden des 1. Januar 2006 zwei offensichtlich nicht-rechte Jugendliche nur aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes von einer 15köpfigen Gruppe von Rechten angegriffen. Beide Opfer wurden zu Boden geschlagen; einer der Betroffenen erlitt durch gezielte Tritte gegen den Kopf einen zweifachen Kieferbruch und weitere Kopfverletzungen. Zuvor waren bereits auf dem Quedlinburger Marktplatz weitere Jugendliche von Anhängern der rechten Szene angegriffen und verletzt worden. „Dabei handelt es sich im Gegensatz zu den Darstellungen des Polizeireviers Quedlinburg nicht um eine Schlägerei unter rivalisierenden Jugendbanden, sondern um brutale rechtsextreme Angriffe gegen erkennbar nicht-rechte Jugendliche“, sagt eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung.

Ebenfalls in den frühen Morgenstunden des 1. Januar 2006 wurden in Gräfenhainichen zwei vietnamesische Männer von einer Gruppe von Neonazis angegriffen und verletzt. Bei Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit den Ermittlungen fand die Polizei bei zwei Rechten ein größeres Waffen- und Munitionsarsenal.

„Neonazis in Sachsen-Anhalt agieren derzeit so brutal, weil ihnen oftmals im Alltag keine Grenzen gesetzt werden und sie sich offenbar vor jeglicher Strafverfolgung, aber auch vor gesellschaftlicher Ausgrenzung sicher fühlen,“ so die Mobile Opferberatung.

Hintergrundinformationen zur Kameradschaft Schönebeck:

Die Kameradschaft Schönebeck und die Kameradschaft Festungsstadt in Magdeburg agieren seit ihren ungehinderten Auftritten bei den Protesten gegen Hartz IV-Reformen im Jahr 2004 zunehmend offensiver. Zu ihren Rekrutierungsstrategien gehört es u.a. gezielt durch Konzerte und Aufmärsche, aber auch Schulungen und einfachen „Besuchen“ von ländlichen Diskotheken, potenzielle Sympathisanten zu rekrutieren und in rechte Strukturen einzubinden. Auch öffentliche Auftritte wie beispielsweise die geplante Neonazikranzniederlegung in Magdeburg am kommenden Samstag, den 14.1.2006, gehören zur Strategie, eine rechte Erlebniswelt und Dominanz zu schaffen.

Nach außen hin gibt sich die Kameradschaft Schönebeck gewaltfrei. Tatsächlich wurden jedoch Aktivisten der Kameradschaft Schönebeck u.a. wegen eines Angriffs zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt, bei dem vier nicht-rechte Jugendliche im Januar 2003 direkt vor dem Polizeirevier Schönebeck mit großer Brutalität zu Boden geschlagen und immer wieder mit Stiefeln gegen den Kopf getreten wurden.