Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 29.01.2008

In Sachsen-Anhalt ereignet sich statistisch alle zwei bis drei Tage eine rechte oder rassistische Gewalttat. 151 politisch rechts motivierte Gewalttaten mit 318 direkt Betroffenen hat die Mobile Opferberatung (in Kooperation mit der Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten Dessau) im Jahr 2007 registriert. In den allermeisten Fällen (125) handelt es sich um Körperverletzungsdelikte. In mehr als zwei Drittel aller von der Mobilen Opferberatung registrierten Fälle richten sich die Angriffe gegen alternative und nicht-rechte Jugendliche sowie junge Erwachsene. 26 Prozent der von der Mobilen Opferberatung registrierten Fälle sind rassistisch motivierte Gewalttaten, die sich gegen MigrantInnen, Flüchtlinge, Afrodeutsche und ausländische Studierende richteten.

In 75 Prozent aller von der Mobilen Opferberatung registrierten rechten Gewalttaten haben die Betroffenen Anzeige erstattet bzw. haben die Ermittlungsbehörden Kenntnis vom Geschehen gehabt. Damit hält sich die Anzahl rechter Gewalttaten auf dem hohen Niveau der Vorjahre. Zudem ist davon auszugehen, dass es in den nächsten Wochen und Monaten eine Reihe von Nachmeldungen zu rechten Gewalttaten in 2007 geben wird. So hatte die Mobile Opferberatung beispielsweise zu Jahresbeginn 2007 für das Jahr 2006 eine Anzahl von 178 rechten Gewaltdelikten registriert. Durch Nachmeldungen hat sich diese Zahl auf mittlerweile 200 rechte Gewalttaten im Jahr 2006 erhöht.

Zu den regionalen Schwerpunkten rechter Gewalt im Jahr 2007 gehört u.a. die Landeshauptstadt Magdeburg. Hier hat die Mobile Opferberatung 20 rechte Angriffe registriert, darunter eine hohe Anzahl von rassistischen Gewalttaten im öffentlichen Raum und insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. an Haltestellen. Bei den Tätern handelt es sich neben oft schon polizeibekannten Rechten um rassistische Gelegenheitsschläger. In einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem Umfragen Zustimmungswerte von bis zu 40 Prozent zu ausländerfeindlichen Parolen feststellen (u.a. Decker/Brähler 2007), gehen sie offenbar davon aus, dass ihre Gewalttaten gebilligt und unterstützt werden. In der Rückschau wird deutlich, dass mehr PassantInnen und Fahrgäste als in den vergangenen Jahr bei rechten und Angriffen mutig eingegriffen haben und den Betroffenen zur Hilfe kamen. Dies ist besonders wichtig vor dem Hintergrund, dass das Ausmaß der Traumatisierung durch eine rechte Gewalttat neben der Schwere der Verletzungen u.a. oft auch davon abhängig ist, ob AugenzeugInnen zugunsten der Opfer intervenieren.

Im Vorgehen organisierter rechter Gewalttäter hat sich der Trend verstärkt, dass Aktivisten neonazistischer Kameradschaften und deren Umfeld am Rand von neonazistischen Aufmärschen und NPD-Kundgebungen gewaltsam gegen politische Gegner vorgehen. Zudem werden soziokulturelle Treffpunkte und Veranstaltungen bzw. Partys und Feiern von alternativen und nicht-rechten Jugendlichen gehäuft Ziel von organisierten Angriffen:
Die Täter kommen wahlweise aus dem Umfeld militanter Neonazikameradschaften oder rechter Cliquen. Beispiele hierfür waren im vergangenen Jahr u.a. mehrere Angriffe von organisierten Rechten auf das soziokulturelle Zentrum ZORA in Halberstadt und Naumburg. Rechte Gewalt zielt hier auf die Einschüchterung und Bedrohung einer nicht-rechten und alternativen Jugendkultur. Erfolgreich sind diese rechten Hegemoniebestrebungen immer dort, wo die betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen von Sicherheitsbehörden, Justiz und KommunalpolitikerInnen nicht ernst genommen und alleine gelassen werden.
Verstärkt wird dieser Trend, wenn es zu unzureichenden Ermittlungen nach rechten Gruppenangriffen kommt: Beispiele hierfür sind der Überfall von 30 Rechten auf eine alternative Geburtstagsparty in Gerwisch im Jahr 2006 und der Angriff auf vierzehn SchauspielerInnen in Halberstadt im Juni 2007.

„Sonntagsreden und moralische Appelle reichen nicht aus, um rechte Gewalt im Alltag aufzuhalten,“ bilanziert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Es gibt Beispiele, dass direktes Einmischen und Eingreifen den Tätern Grenzen setzt und die Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt unterstützt. Diese Beispiele sollten Schule machen.“