Anlaufstelle Süd (Halle), 28.02.2013
Deutliche Zunahme rassistisch motivierter Gewalt – „Wir brauchen eine Kultur der Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt“
104 politisch rechts motivierte Gewalttaten mit mindestens 147 direkt Betroffenen hat die Mobile Opferberatung für das Jahr 2012 in Sachsen-Anhalt registriert. Statistisch gesehen ereignet sich damit seit Jahren mindestens alle drei Tage eine politisch rechts motivierte Gewalttat in Sachsen-Anhalt. Die aktuellen Zahlen legen einen Rückgang rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt um etwa ein Fünftel nahe. Anfang März 2012 hatte das Projekt 132 politisch rechts motivierte Angriffe für das Jahr 2011 bekannt gegeben.
Aus der Erfahrung der letzten Jahre ist davon auszugehen, dass sich die Zahl der für 2012 dokumentierten Gewalttaten noch erhöhen wird. So hat die Mobile Opferberatung durch Nachmeldungen mittlerweile 144 Angriffe für 2011 erfasst. Zudem ist von einer hohen Dunkelziffer bislang noch nicht bekannter rechter Gewalttaten im vergangenen Jahr auszugehen. Darauf verweisen nicht nur mehrere Studien1, sondern auch der Anteil an nicht zur Anzeige gebrachten politisch rechts motivierten, von der Mobilen Opferberatung dokumentierten Angriffe, der in 2012 wie in den Vorjahren bei etwa 20 Prozent liegt.
Rassismus und entgrenzte Gewalt
„Wir sind sehr besorgt über den massiven Anstieg rassistisch motivierter Gewalt und die mit den Angriffen einhergehende, zum Teil völlig entgrenzte Gewalt gegen Flüchtlinge, Migrant_innen und weitere Rassismusbetroffene“, betont eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung.“ Damit setzt sich ein Trend aus den Vorjahren fort. Angesichts der mit Rassismus verbundenen Menschenverachtung benötigen wir in Sachsen-Anhalt dringend eine Kultur der Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt.“
Denn trotz des Rückgangs der Gesamtzahlen kann die Mobile Opferberatung keine Entwarnung in Bezug auf rechte Angriffe in Sachsen-Anhalt geben. Der Anteil rassistischer Angriffe liegt in 2012 bei knapp 60 Prozent und hat sich somit im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt (2011: 35 %). Dementsprechend hat sich die Anzahl rassistischer Angriffe trotz des Rückgangs der Gesamtzahl politisch rechts motivierter Gewalt von 50 in 2011 auf 61 in 2012 erhöht. Daneben gehörten nichtrechte Jugendliche und junge Erwachsene (2012: 27 %; 2011: 31 %) und politisch Aktive (2012: 12 %; 2011: 30 %) in 2012 zu den Hauptbetroffenen.
„Dass in 2012 keine Todesopfer rassistischer Gewalt in Sachsen-Anhalt zu beklagen waren, ist lediglich glücklichen Zufällen geschuldet“, so die Sprecherin der Mobilen Opferberatung mit Verweis auf zwei lebensbedrohliche Angriffe: In Flechtingen (Börde) setzte ein 21-Jähriger am 20. Januar 2012 nach Mitternacht eine Kunststofftonne direkt vor dem Eingang eines auch von einer deutsch-polnischen Familie bewohnten Hauses in Brand. Zuvor hatte er auf einer Feier rassistisch gegen „Ausländer“ gehetzt und dann auf ein vor dem Haus parkendes Auto ein Hakenkreuz eingeritzt. Der Feuerwehr rettete schließlich sieben Betroffenen, darunter drei Kleinkinder, aus dem Haus.
Am 29. April 2012 griffen vier u.a. mit einem Schlagring und einem Teleskopschlagstock bewaffnete Rechte zwei Familien mit palästinensischem und kurdischem Hintergrund unter rassistischen Beschimpfungen auf einem Volksfest in Lutherstadt Eisleben (Mansfeld-Südharz) an. Sie schlugen immer wieder gezielt und mit Waffen auf den Kopf eines 32-Jährigen ein, auch als der Betroffene schon am Boden lag. Eine 37-Jährige wurde mehrfach so massiv mit ihrem Kopf auf den Fußboden geschlagen, dass sie das Bewusstsein verlor. Nur das Eingreifen eines Zeugen verhinderte, dass die Betroffene weiter geschlagen wurde. Erst als die Angreifer von Umstehenden vor dem Eintreffen der Polizei gewarnt wurden, ließen sie von ihren Opfern ab und flüchteten. Der schwer verletzte 32-jährige Palästinenser musste u.a. mit Nasen- und Jochbeinfraktur mit dem Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden und lag tagelang im Koma. Auch die anderen fünf Familienangehörigen wurden z.T. erheblich verletzt.
Straftatbestände und regionale Schwerpunkte
Bei 82 Prozent der für 2012 dokumentierten Fälle handelt es sich um Körperverletzungs-delikte (85), davon zwei versuchte Tötungen und ein Raub. Daneben wurden zwei Brandstiftungen sowie – aufgrund der Schwere der Angriffsfolgen – 16 Nötigungen/ Bedrohungen und eine Sachbeschädigung in die Statistik aufgenommen.
Die meisten politisch rechts motivierten Angriffe in 2012 wurden für den Burgenlandkreis dokumentiert (13; 2011: 6). Dahinter folgen die Stadt Halle (Saale) sowie der Landkreis Börde mit je 12 Gewalttaten (2011: 16 bzw. 7) sowie die Stadt Dessau-Roßlau und der Saalekreis mit je 9 bekannt gewordenen Angriffen (2011: 6 bzw. 9).
Eine fortlaufende Chronologie politisch rechts und rassistisch motivierter Angriffe und die Statistik aufgeschlüsselt nach Landkreisen/ kreisfreien Städten, Straftatbestand und Tatmotivation finden Sie auf www.mobile-opferberatung.de/monitoring/. Für weitere Informationen erreichen Sie uns unter Tel. 03 45 / 2 26 71 00 oder mobil unter 01 75 / 1 62 27 12.
1 vgl. u.a. http://fra.europa.eu/eu-midis/