Anlaufstelle Süd (Halle), 13.11.2009

Mobile Opferberatung fordert die sofortige Schließung des „Dschungelheims“ in Harbke (Landkreis Börde) und menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge

In der Nacht vom 7. zum 8. November 2009 wurde die Flüchtlingsunterkunft am Rande von Harbke (Landkreis Börde) zum Ziel eines rechten Angriffs – zum zweiten Mal innerhalb von sechs Monaten. Die unbekannten Täter drangen auf das Gelände und in zwei Gebäude der ehemaligen NVA Kaserne ein, die als Flüchtlingsunterkunft für ca. 150 Menschen dient. Im Hausflur und an der Wand neben der Eingangstür sprühten sie zwei großflächige Hakenkreuze – ebenso an das Wartehäuschen der Bushaltestelle vor dem Heim. Die Angreifer rissen außerdem Feuerlöscher von den Wänden und versprühten deren Inhalte in beiden Hausfluren. Das Löschpulver stieg bis zur dritten Etage des Hauses I und II hoch und hinterließ selbst in den Zimmern teils Zentimeter hohe Ablagerungen.

„Ich bin nach Deutschland geflohen, weil ich Angst hatte, doch hier habe ich wieder Angst“, beschreibt ein junger Flüchtling aus dem Irak wenige Tage nach dem Angriff der Rechten die Stimmung unter den HeimbewohnerInnen. Sie sind verzweifelt und schutzlos. Die Unterkunft liegt mitten im Wald neben der Autobahn ca. 5 km außerhalb vom Ortskern der 18000 EinwohnerInnen zählenden Gemeinde Harbke. Die nächstgelegenen günstigen Einkaufsmöglichkeiten gibt es in Helmstedt (Niedersachsen). Der Fußgängerdurchgang im Eingangstor zum Gelände ist nicht verschließbar und auch die insgesamt drei Wohnhäuser bleiben Tag und Nacht unverschlossen, da die Flüchtlinge keine Haustürschlüssel erhalten. Mehrere Flüchtlinge nahmen nach Mitternacht dichten Rauch auf den Fluren wahr, irgendwann ertönte der Feueralarm. Als die durch einige BewohnerInnen alarmierte Polizei zusammen mit der Feuerwehr nach ca. 45 Minuten vor Ort eintraf, waren die Täter längst verschwunden. Die reine Fahrzeit für Sicherheitskräfte vom nächstgelegenen Polizeirevier bis zum Heim beträgt allein mind. 20 Minuten. „Ein Leben unter menschenwürdigen Bedingungen und in Sicherheit ist hier nicht möglich“, resümiert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung.

Das Heim wurde bereits mehrfach zur Zielschreibe neonazistischer Aktivitäten: Als Anfang November 2008 in unmittelbarer Nähe des Flüchtlingsheims ein Neonazi-Konzert mit ca. 400 Rechten aus dem In- und Ausland statt fand, mussten die BewohnerInnen unter Polizeischutz gestellt werden. Eine Woche später wurde der Eingang des Heims von Rechten belagert, die vorbeigehende Flüchtlinge rassistisch beschimpften. Im Mai 2009 fuhr ein Auto auf den Hof und mit hohem Tempo auf eine Gruppe spielende Kinder zu. Die Rechten bremsten erst kurz vorher ab, beleidigten die Kinder und ihre Mütter als „Schweine“ und drohten wieder zu kommen und das Heim abzubrennen. Zu Recht fragen die Flüchtlinge: „Was muss noch passieren, damit man uns hilft?“.

Auch die Lebensbedingungen im Heim waren schon mehrfach Gegenstand medialer Berichterstattung. Der Beitrag „Menschenwürde dritter Klasse“ des ZDF-Magazins „Mona Lisa“ vom 24.05.2009 zeigte der katastrophalen Sanitäreinrichtungen und verwies auf die soziale Isolation der Flüchtlinge. Entgegen behördlicher Ankündigungen, diese Missstände zu beseitigen, hat sich außer oberflächiger Kosmetik nichts verändert: der Putz fällt von der Decke, Duschen funktionieren nicht, in Zimmern und den Sanitärbereichen gedeiht Schimmel, Warmwasser gibt es nur unregelmäßig. Vor allem die im Heim lebenden Familien, darunter viele mit Kleinkindern und die kranken und älteren Menschen leiden sehr unter den untragbaren Zuständen. „Das ist kein Leben, wir hausen wie Tiere im Wald“, versucht ein Flüchtling, der seit über sechs Jahren dort wohnt, das tägliche Leid in Worte zu fassen.

„Wir fordern die sofortige Schließung des Dschungelheims in Harbke“, sagt eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Der erneute Angriff von Rechten auf das Heim zeigt, dass die Sicherheitslage katastrophal ist. Das Heim zu schließen ist die einzig gangbare Lösung, um die Betroffenen vor weiteren rassistischen Angriffen zu schützen und ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.“

Es konnten bereits erste Erfolge erzielt werden: Der Landkreis hat zugesichert, Familien schnellstmöglich in Wohnungen unterzubringen und den Betreibervertrag und damit auch die mögliche Schließung des Flüchtlingsheims zu prüfen.