Anlaufstelle Süd (Halle), 13.08.2007

Am 16. August beginnt vor der großen Strafkammer des Landgerichts Magdeburg die Hauptverhandlung gegen den 23jährigen Emanuel R., einen mehrfach wegen brutaler Gewaltdelikte vorbestraften Neonazi aus Wernigerode. 

Die Anklage wirft ihm sechs gefährliche Körperverletzungen in Wernigerode und Umgebung vor, die im Sommer 2005 verübt wurden. Die Angriffe verliefen immer nach dem gleichen Muster: Die Opfer – Jugendliche und junge Erwachsene, die durch ihr Outfit als Punks oder Nicht-Rechte erkennbar waren – wurden als „Assis“ und „Zecken“ beschimpft, mit gezielten Schlägen zu Boden gebracht und dann am Boden liegend mit Springerstiefeln solange gegen den Kopf und ins Gesicht getreten, bis sie sich nicht mehr bewegten. Alle Opfer trugen Kopfverletzungen davon, in drei Fällen mussten die Betroffenen als Notfälle mit dem Rettungswagen in Kliniken gebracht werden.

Das Amtsgericht Wernigerode hatte Emanuel R. Ende März 2006 wegen vierfacher, in zwei Fällen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung und einer einfachen Körperverletzung zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Gegen das Urteil legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft und zwei NebenklagevertreterInnen Berufung ein, über die im Oktober 2006 verhandelt wurde. Die Nebenklage hatte schon zur ersten Hauptverhandlung am Amtsgericht Wernigerode beantragt, das Verfahren angesichts der Vielzahl und Schwere der Gewalttaten an die Große Strafkammer des Landgerichts zu verweisen und argumentiert, dass der Strafrahmen von höchstens vier Jahren am Amtsgericht zu niedrig bemessen sei, was aber sowohl die Staatsanwaltschaft Halberstadt als auch das Amtsgericht Wernigerode ablehnten.

In der Berufungsverhandlung folgte das Landgericht dem Antrag der Nebenklage, dem sich überraschenderweise nun auch die Staatsanwaltschaft anschloss und verwies das Verfahren an die große Strafkammer als erstinstanzliches Gericht. Emanuel R. sei aller angeklagten Straftaten, also auch derjenigen, bei der durch das Amtsgericht Freispruch erfolgte, verdächtig und deshalb reicht der zur Verfügung stehende Strafrahmen von vier Jahren, den die Kammer maximal verhängen darf, nicht aus. Die daraufhin von der Verteidigung eingelegte Revision wurde im März 2007 vom Oberlandesgericht Naumburg als unbegründet abgewiesen.

„Der militante Neonazi Emanuel R. könnte schon längst rechtskräftig von der zuständigen Instanz – nämlich der Großen Strafkammer des Landgerichts – verurteilt sein, wenn die Staatsanwaltschaft direkt dort angeklagt hätte,“ kritisiert die Mobile Opferberatung. „Wieder einmal wird ein Prozess gegen Neonazis verzögert, weil die Staatsanwaltschaft nicht zielführend agiert. Die zahlreichen Opfer von Emanuel R. müssen nun zum dritten Mal vor Gericht erscheinen.“

Emanuel R., der sich bei öffentlichen Auftritten gerne mit einem T-Shirt der Bekleidungsmarkte Thor Steinar mit aufgedrucktem Maschinengewehr und der Aufschrift „Hausbesuche“ zeigte, macht aus seiner rechten Gesinnung keinen Hehl. Er war u.a. Aktivist der neonazistischen Wernigeröder Aktionsfront (WAF), die sich offenbar aus Angst vor Repressionen nach seiner Festnahme Anfang Oktober 2005 offiziell auflöste. Im Dezember 2005 wurde dann in Wernigerode quasi aus dem gleichen Personenkreis der erste Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten (JN) – der Jugendorganisation der NPD – in Sachsen-Anhalt gebildet. Hier ist eine eindeutige Verbindung zwischen rechten Gewalttätern und der vermeintlich demokratischen NPD bzw. deren Jugendorganisation JN sichtbar. Nähe zu dem Angeklagten demonstrierten auch der Landes- und Fraktionsgeschäftsführer der NPD Harz Matthias Heyder sowie Kreistagsmitglied im neuen Harzkreis und Bundesvorstandsmitglied der JN Michael Schäfer, als sie mit ca. ein Dutzend Rechter die Verhandlung am Amtsgericht Wernigerode beobachteten.

Im Einzelnen wird Emanuel R. in sechs Fällen, jeweils während der laufenden Bewährung, gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt:

Am Vormittag des 25. Juni 2005 wird ein 21jähriger Punk am Hornberger See beim Zelten überfallen: Der Betroffene wird erst zu Boden geschlagen, dann wird er mit Stiefeltritten gegen den Kopf getreten und im Gesicht verletzt; zudem versucht der Angreifer ihm einen Beutel mit leeren Glasflaschen auf den Kopf zu schlagen; dem Betroffenen gelingt es zwar, dies abzuwehren, trotzdem erleidet er Schnittverletzungen am Hals und im Brustbereich. Der Betroffene ist so schwer verletzt, dass er als Notfall in ein Krankenhaus eingeliefert werden muss.

Am frühen Morgen des 21. Juli 2005 wird einem Betroffenen in Wernigerode mit voller Wucht eine Bierflasche über den Kopf geschlagen, weshalb er stationär behandelt werden muss. Eine dauerhafte Hörschädigung ist nur eine Folge der Tat.

In den Morgenstunden des 4. September 2005 wird in der Pfarrstraße in der Wernigerode ein offensichtlich der Punkszene zugehöriger Jugendlicher von acht bis zehn Neonazis angegriffen und durch Fußtritte an den Kopf verletzt. In diesem Fall haben sowohl Nebenklage als auch Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, da das Gericht diesen Angriff lediglich als einfache Körperverletzung wertete.

Am 10. September 2005 kommt es in der späten Nacht in Wernigerode zu einer beispiellosen und vereinbarten Hetzjagd von mindestens zwei Dutzend Rechten auf Jugendliche und junge Erwachsene, die nicht zur rechten Szene gehören. Die Rechten fahren, teilweise mit Baseballschlägern bewaffnet, auf der Suche nach potenziellen Opfern mit Autos durch die Stadt. Zwei nicht-rechte junge Männer werden dabei u.a. durch gezielte Stiefeltritte gegen den Kopf und Schläge mit Baseballschlägern massiv verletzt. Das Amtsgericht hatte in seinem Urteil beim ersten Angriff gegen 0:30 Uhr im Lustgarten auf einen „Langhaarigen“, der mit einem Baseballschläger ins Gesicht geschlagen wurde, keinen zweifelsfreien Beweis für die Täterschaft von Emanuel R. erkannt und ihn in diesem Fall freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen ebenfalls Berufung ein.

Beim zweiten Angriff der Neonazigruppe auf einen Punk am Anger wenige Stunden später, wurde dieser von mindestens zehn Rechten, unter ihnen der Angeklagte, mit Springerstiefeln auf dem Boden liegend attackiert. Der Geschädigte wurde mit schweren Kopfverletzungen als Notfall eingeliefert.

In der Nacht vom 11. September 2005 wird ein nicht-rechter junger Mann durch die Halberstädter Straße in Wernigerode gejagt, mit Bierflaschen beworfen und durch Stiefeltritte in den Rücken und Faustschläge ins Gesicht verletzt.

Die Mobile Opferberatung kritisierte schon im Prozess vor dem Amtsgericht die Mitverantwortung von Polizei und der Staatsanwaltschaft Halberstadt für die monatelange Angriffsserie der Rechten. Schon unmittelbar nach dem zweiten in diesem Verfahren angeklagten Angriff auf einen Punk am Hornberger See am 25. Juni 2005, hatte das Opfer Emanuel R. eindeutig als Täter benannt. Emanuel R. befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Bewährungszeit – was sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft bekannt gewesen sein musste. Erst dreieinhalb Monate und fünf weitere gewaltsame Angriffe später wurde er in Untersuchungshaft genommen. Zudem hatten weder die Vertreterin der Staatsanwaltschaft noch das Gericht die eindeutig rechte Tatmotivation des Angeklagten benannt. „Der Angeklagte habe teilweise ‚aus Langeweile’ zugeschlagen und sei durch Alkohol ‚enthemmt’ gewesen.“ Systematische Jagdzüge auf alle, die nicht ins rechte Weltbild passen, werden so zu scheinbar unpolitischen, jugendlichen Schlägereien verharmlost.

Als weitere Prozesstermine sind geplant: 20. August, 3., 4., 7. und 12. September jeweils um 9:30 Uhr am Landgericht Magdeburg.