Anlaufstelle Süd (Halle), 05.10.2004
Vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Halberstadt beginnt am Donnerstag, dem 7. Oktober, 8.30 Uhr, der Prozess gegen zwei einschlägig vorbestrafte Neonazis im Alter von 18 und 23 Jahren. Den Angeklagten wird vorgeworfen, am 17.04.2004 in Wegeleben (bei Halberstadt) gemeinsam mit mindestens zwei weiteren Beteiligten einen Punk mittels Eisenstangen durch gezielte Schläge gegen den Kopf schwer verletzt zu haben.
Die Staatsanwaltschaft Halberstadt klagt diesen lebensgefährlichen Angriff lediglich als „gefährlicher Körperverletzung“ an.
„Warum das Verfahren nicht wegen versuchten Totschlags vor dem Landgericht Magdeburg eröffnet wird, ist weder für die Betroffenen noch für deren Rechtsanwältinnen nachvollziehbar“, so Zissi Sauermann von der „Mobilen Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt“.
Damit genüge die Anklage nicht der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs. Eine genauere Betrachtung des Falles ergibt folgendes Bild:
Gegen 20.00 Uhr gehen ein 24jähriger Punk, seine Freundin und ein Freund spazieren, als ein vollbesetzten Auto übers Feld mit hoher Geschwindigkeit auf sie zusteuert und gerufen wird „Fahr das Schwein tot!“. Das Fahrzeug fährt den 24Jährigen – anscheinend Ziel der Hatz – frontal an, woraufhin er stürzt. Sein Freund wird seitlich von dem Auto gestreift. Die Fahrzeuginsassen, fünf eindeutig der rechtsextremen Skinheadszene zugehörige Männer, steigen aus. Alle sind mit Eisenstangen bewaffnet. Die Angreifer schlagen immer wieder mit voller Wucht auf den am Boden liegenden Punk ein und zielen vor allem auf seinen Kopf. Dabei rufen sie: „Los, bring den um!“, „White Power!“ und „Sieg Heil!“. Die Freundin des Punks muss die Tat – versteckt in einem Gebüsch – ohnmächtig mit ansehen. Erst als sich das Opfer nicht mehr rührt, lassen die Schläger von ihm ab und fahren weg. Mit Hilfe seiner Freundin gelingt es dem Betroffenen, sich zur nächstgelegenen Straße zu schleppen. Eine von seinem Freund alarmierte Notfallambulanz trifft kurze Zeit später ein und bringt den Schwerverletzten ins Krankenhaus. Dort stellen die behandelnden Ärzte u.a. eine Stirnbeinfraktur, beidseitige Kieferhöhlenfrakturen und eine acht Zentimeter lange Kopfplatzwunde fest.
Die von einem Gerichtsmediziner später diagnostizierte „potenzielle Lebensgefahr“ für den Betroffenen interpretiert Horst Sehorsch von der Staatsanwaltschaft Halberstadt zugunsten der Angeklagten: Dass sie ihrem Opfer mit Eisenstangenschlägen auf den Kopf lebensbedrohliche Verletzungen zufügten, hätten die Angeklagten als medizinische Laien nicht erkennen können.Bei dem Punk habe lediglich „potenzielle“, somit also keine „reale“ Lebensgefahr bestanden.
Außerdem beinhaltet die Anklageschrift lediglich das Zusammenschlagen des Punks, nicht die vorausgegangene Jagd auf ihn und seine Freunde. „Indem die Anklage die Hatz mit dem Auto ignoriert, wird das gezielte Vorgehen der Täter ausgeblendet. Zwei von drei Betroffenen werden ihre Rechte als Nebenkläger abgesprochen“, kritisiert Zissi Sauermann.
Beschwerden der Rechtsanwältinnen der Betroffenen, sowohl gegen die Eröffnung beim Amtsgericht als auch die Nichtzulassung der Nebenklage, lehnte das Landgericht Magdeburg ab. „Die Entscheidung ist rechtlich schlichtweg falsch“, so Rechtsanwältin Regina Götz zu der ihren Mandanten betreffenden Bewertung.
Zudem sind zur Hauptverhandlung am kommenden Donnerstag nur drei Zeugen geladen: die drei Opfer. Etliche weitere Zeugen, z.T. aus dem Umfeld der Angeklagten, die u.a. sowohl über den Tatentschluss als auch weitere Tatbeteiligte Aufschluss geben könnten, hat das Gericht nicht geladen. „Damit wird der Anschein erweckt, als sei das Amtsgericht nicht an einer umfassenden Aufklärung der Ereignisse interessiert und strebe lediglich eine schnelle Erledigung des Verfahrens an“, befürchtet Zissi Sauermann.