Anlaufstelle Süd (Halle), 05.12.2006

Beginn: Mittwoch, den 6. Dezember 2006, 13.00 Uhr, Saal 90, Landgericht Halle, Hansering 13, 06108 Halle

Nach zwei Verhandlungstagen im Berufungsverfahren wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung gegen die heute 27-jährigen Angeklagten Stefan J. und den einschlägig vorbestraften Steve C. werden am kommenden Mittwoch Plädoyers und Urteil vor dem Landgericht Halle erwartet. Zuvor soll am morgigen Prozesstermin noch eine Zeugin gehört werden, die während des rassistischen Angriffs gemeinsam mit ihrem Vater zivilcouragiert einschritt. Nachdem sie trotz Vorladung zu beiden Verhandlungsterminen nicht erschienen war, hat das Landgericht Halle erneut ihre polizeiliche Vorführung angeordnet.

In erster Instanz vor dem Amtsgericht Halle waren beide Angeklagten am 6. März 2006 wegen eines rassistischen Angriffs auf einen Sudanesen u.a. mit einer Bierflasche zu Haftstrafen von 15 und 18 Monaten auf Bewährung und der Ableistung von jeweils 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Dagegen gingen die Angeklagten in Berufung. Neun Monate nach der erstinstanzlichen Verurteilung begann am 22. November 2006 der Berufungsprozess vor dem Landgericht Halle.

Der rassistische Angriff auf den damals 38-jährigen Sudanesen liegt nunmehr vier Jahre zurück: Am 27. September 2002, kurz vor Mitternacht, wurde der Student in Halle an der Haltestelle Rannischer Platz plötzlich von zwei ihm unbekannten Männern u.a. mit „Du Neger!“, „Was machst du hier?“ und „Du stinkst!“ beschimpft. Als der Betroffene darauf nicht reagierte, schlug ihm einer der Männer mit voller Wucht eine Bierflasche ins Gesicht, während der andere ihm in den Bauch trat.

Der Betroffene sackte unter den Schlägen der Angreifer zusammen und verlor offenbar kurzzeitig das Bewusstsein. Während er am Boden lag, hörte der Sudanese, wie eine Frauenstimme mehrmals „Halt!“ rief. Als er stark im Gesicht blutend und benommen aufschaute, hatten die Täter von ihm abgelassen. Zwei Passanten – eine junge Frau mit ihrem Vater – hatten den Angriff bemerkt und waren dem Betroffenen zu Hilfe geeilt. Wenige Augenblicke später traf eine zufällig vorbeifahrende Polizeistreife vor Ort ein und konnte beide Angreifer vorläufig festnehmen. Der Betroffene musste stark an der Lippe blutend, mit einer Schwellung am Hinterkopf und Bauchschmerzen mit der Notfallambulanz ins Krankenhaus gebracht werden, wo u.a. die tiefe Schnittverletzung an der Lippe genäht werden musste.

Noch heute leidet der Betroffene an den Folgen des Angriffs. „Dieser Anschlag hat mein Leben verändert“, so der heute 42-jährige Betroffene. So war dem Sudanesen die Weiterführung seines Studiums in Halle aufgrund der psychischen Folgen nicht mehr möglich. Aus Angst vor weiteren rassistischen Angriffen zog er schließlich aus Halle weg. Eine Verarbeitung des Erlebten wurde ihm auch durch die schleppende Strafverfolgung der Täter erheblich erschwert. Obwohl die Staatsanwaltschaft Halle bereits Ende Februar 2003 Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung gegen die heute 27-Jährigen Tatverdächtigen erhob, kam es erst Anfang März 2006 vor dem Amtsgericht Halle zur Verurteilung. Ein erster Prozess im Dezember 2005 war ausgesetzt worden, weil ein DNA-Gutachten fehlte. Hierin wurde schließlich durch das LKA festgestellt, dass der Hauptanteil der Spuren am Flaschenhals nahezu zweifelsfrei von Stefan J. stammt.

„Den Betroffenen beschäftigt bis heute die Frage, warum er angegriffen wurde“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Auch vor dem Landgericht Halle hatten sich die Angeklagten nicht zu den Vorwürfen geäußert und den Prozess äußerlich emotionslos verfolgt. „Außerdem ist es für den Betroffenen nicht nachvollziehbar, dass die Justiz so lange braucht, um die Täter strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen“ so die Mobile Opferberatung weiter. Rechtsanwältin Silke Studzinsky, die den Betroffenen als Nebenkläger in dem Prozess vertritt, meint dazu: „Die lange Verfahrensdauer erschwert die juristische Aufarbeitung des Angriffs und somit auch eine angemessene Bestrafung der Täter erheblich.“ So ist einer der beiden direkten Tatzeugen mittlerweile verstorben. Da die Verfahrensverzögerung überwiegend durch die Justiz verursacht wurde, wird die verstrichene Zeit zwischen Tat und Verhandlung vom Gericht zu Gunsten der Angeklagten gewertet werden.

Während der beiden vorangegangenen Verhandlungstage wurden der Betroffene, drei Polizeibeamte und die Psychotherapeutin des Betroffenen als sachverständige Zeugin gehört, sowie das behördliche DNA-Gutachten, ärztliche Atteste und die Bundeszentralregisterauszüge beider Angeklagten verlesen und die Angeklagten zu ihren persönlichen Verhältnissen befragt.