Anlaufstelle Süd (Halle), 09.07.2008

Am Freitag, den 11. Juli 2008, werden am Landgericht Magdeburg im Berufungsprozess wegen zweier gezielter Neonaziangriffe auf das Café des soziokulturellen Dachvereins Reichenstraße in Quedlinburg im Juni 2005 die Plädoyers und das Urteil erwartet. Seit Mitte Mai müssen sich vor der 8. Strafkammer vier Rechtsextremisten aus Thale und Ballenstedt u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung erneut verantworten. Bei dem zweiten massiven Angriff war ein Cafébesucher schwer verletzt worden.

Die heute 25- bis 28-jährigen Angeklagten sollen in den frühen Morgenstunden des 18. Juni 2005 das Bildercafé des soziokulturellen Dachvereins Reichenstraße in Quedlinburg gewaltsam angegriffen haben. Dabei verletzten Neonazis einen der Besucher mit einer Billardkugel so massiv im Gesicht, dass er über ein Jahr in ärztlicher Behandlung bleiben musste. Bereits zwei Wochen vor diesem Angriff war der Hauptangeklagte und Rädelsführer Daniel B. mit weiteren Rechten in das soziokulturelle Zentrum eingedrungen. Dabei wurde ein Besucher durch Schläge und Tritte leicht verletzt. Zuvor hatte einer der Angeklagten erklärt, man wolle „Punks und Zecken“ aufmischen.

In erster Instanz hatte das Amtsgericht Quedlinburg am 29. August 2007 Daniel B. u.a. wegen dreifacher gefährlicher Körperverletzung zu zweieinhalb Jahren Haft sowie seine Mittäter Pierre K. zu 15 Monaten Haft, Ronny Z. und Tony A. wegen gefährlicher Körperverletzung zu 18 Monaten Haft auf vier Jahre Bewährung verurteilt.

In der Berufungsverhandlung am Landgericht Magdeburg hatten mehrere Zeugen erneut von ihrer „Panik und Angst“ berichtet, die sie angesichts der gezielten und massiven Gewalt erlebten, mit der ein halbes Dutzend Neonazis auf die völlig überraschten Cafébesucher losgingen. Zunächst begannen die Männer und eine junge Frau Cafébesucher zu bepöbeln und gegen ihren Willen zu fotografieren. Versuche des Cafébetreibers, die ungebetenen Gäste zum Verlassen aufzufordern, scheiterten. Stattdessen erklärte der Angeklagte Daniel B. laut Zeugenaussagen, er sei jetzt der Chef. Auf das Kommando von B. „Jetzt geht’s los“ begannen die Rechten mit einem mitgebrachten Baseballschläger zu prügeln. Sie warfen Flaschen und Billardkugeln auf Personal und Gäste, die geschockt von der massiven Gewalt versuchten, sich hinter Einrichtungsgegenständen und Tresen zu verstecken.

In der Berufungsverhandlung beschrieben Zeugen auch, wie mehrere der Angeklagten u.a. mit einem Barhocker auf einen zur Tatzeit 27-jährigen Studenten einprügelten, während der Angeklagte B. dem Betroffenen eine Billardkugel ins Gesicht warf. Durch den Wurf verlor der Betroffene kurzzeitig das Bewusstsein. Er erlitt eine Gehirnerschütterung, verlor einen Zahn und musste über ein Jahr lang ärztlich behandelt werden. Im erstinstanzlichen Prozess hatte ein Gutachter bestätigt, dass die durch den Wurf mit der Billardkugel verursachten Verletzungen potenziell lebensgefährlich gewesen seien. Den Tätern gelang es zunächst zu flüchten, weil nach einem Notruf nur zwei Polizeibeamte vor Ort erschienen und trotz mehrfacher Hinweise der Betroffenen, dass sich einige der Angreifer noch in der Nähe aufhalten würden, diese nicht verfolgten. „Das Verhalten der Polizeibeamten war für die Betroffenen völlig unverständlich, denn in den Wochen zuvor hatte es mehrfach rechte Angriffe und Drohungen gegeben.“

Die Angeklagten bauten im Berufungsprozess ihre Version des Angriffs weiter aus, die sie vor dem Amtsgericht Quedlinburg nach etlichen Verhandlungstagen und Zeugenaussagen überraschend präsentiert hatten. Danach seien sie zwar am 18. Juni 2005 im Bildercafé gewesen. Der Angriff sei aber durch eine zweite Gruppe unbekannter Rechtsextremer erfolgt, die nach ihnen das Café betreten hätten. Sie, die Angeklagten, hätten das Bildercafé zuvor verlassen und hätten diese Gruppe dann später in der Stadt getroffen, wo sie sich mit dem Angriff gebrüstet habe. Gekannt hätten sie niemanden aus der Gruppe der „Unbekannten“.

Das Schöffengericht Quedlinburg ging in seinem erstinstanzlichen Urteil davon aus, dass die Angeklagten „Andersdenkende“ zur Rechenschaft ziehen wollten. Auch die Staatsanwaltschaft Halberstadt geht von einer rechtsextremen Tatmotivation für die Angriffe aus, wobei diese bei der Strafzumessung nur ungenügend Berücksichtigung gefunden habe. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Angeklagten hatten gegen das Urteil Berufung eingelegt.