Anlaufstelle Süd (Halle), 01.06.2011
Betroffener und seine Eltern erwarten vom Gericht eine angemessene Strafe – Prozessbeginn: Dienstag, den 7. Juni 2011, 9:30 Uhr, Justizzentrum Thüringer Straße, Saal X 1.1, Halle
Am kommenden Dienstag, den 7. Juni 2011, beginnt in den Räumlichkeiten des Justizzentrums Halle ab 9:30 Uhr der voraussichtlich letzte Verhandlungstag im Prozess gegen den zur Tatzeit 23-jährigen Roman G. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, am 5. September 2010 vor der Diskothek „Turm“ in Halle einen 22-jährigen Syrer mit einem Messer lebensgefährlich verletzt zu haben. Dementsprechend lautet die Anklage auf versuchten Totschlag in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung. Vor Schließung der Beweisaufnahme nach 12 Verhandlungstagen will das Schwurgericht noch ein medizinisches Gutachten zu den Verletzungsfolgen des Betroffenen hören. Danach sind Plädoyers und die Urteilsverkündung geplant.
Zum Hintergrund
Wie der Betroffene des Messerangriffs vor Gericht aussagte, war er gegen 2:00 Uhr nachts mit etwa acht Freunden auf dem Weg zur Diskothek „Turm“, als ihnen vor der Treppe zum Burggraben der 22-jährige Bruder des späteren Angeklagten entgegenkam und mit einem Bekannten des Betroffenen in Streit geriet. Als dieser eskalierte, ging der Betroffene dazwischen, hielt seinen Begleiter fest und verhinderte so weitere körperliche Gewalt. Der 22-Jährige entfernte sich in Richtung Turm, kam aber kurz darauf mit mehreren Begleitern zurück.
Wie mehrere Zeugen in der Hauptverhandlung schilderten, wurden aus der Gruppe um den Angeklagten und seinen Bruder Parolen wie „Ausländer raus!“ und „Geht in euer Land zurück!“ gerufen. Einzelne aus der Gruppe um den späteren Betroffenen wollten sich das nicht gefallen lassen und riefen Beleidigungen wie „Scheiß Deutsche“ zurück. Die darauf folgende Schubserei eskalierte zu einer unübersichtlichen Massenschlägerei, an der sich nach Zeugenaussagen zwischenzeitlich über zwanzig Personen beteiligten.
Der Betroffene beschrieb in seiner gerichtlichen Aussage, wie er zu Beginn der Schlägerei gerade die Straße Richtung Parkplatz überqueren wollte, als der Bruder des Angeklagten plötzlich mit einem langen Stock auf ihn losging und ihn am Bauch verletzte. Während er sich mit dem Arm zu schützen versuchte, versetzte ihm – so war sich der 22-Jährige vor Gericht sicher – der spätere Angeklagte einen Stich mit dem Messer in die rechte Halsseite und durchtrennte dabei die Halsschlagader. „Wie Wasser aus einem Schlauch“ sei das Blut aus seinem Hals gekommen, beschrieb der 22-Jährige sein traumatisches Erleben jener Nacht. In Todesangst gelang es ihm noch, einen Freund um Hilfe zu bitten, bevor er bewusstlos zusammenbrach.
Ein Freund versuchte, die massive Blutung zu stoppen. Zudem baten Bekannte des Betroffenen eindringlich vor Ort eingetroffene Polizeibeamte um Hilfe, jedoch ohne spürbares Resultat. Da weitere Minuten vergingen, ohne dass ein Rettungswagen in Sicht war, fuhren Freunde den 22-Jährigen selbst ins Krankenhaus. Dass die Polizei mit der Situation offenbar völlig überfordert war, bestätigte sich auch in der Beweisaufnahme vor Gericht. So wurde zwar ein Messer am Tatort sichergestellt, welches jedoch – wie Spurenuntersuchungen ergaben – nicht die Tatwaffe war. Demgegenüber sagte ein Beamter während der Hauptverhandlung aus, dass er ein Messer sowie einen Stock mit Blutanhaftungen am Tatort gefunden und die Spurensicherung darüber informiert habe. Zumindest der Stock wurde nicht sichergestellt. Das nahe liegende Gebüsch oder den Burggraben nach dem Tatmesser überhaupt abzusuchen hielt die Polizei trotz mehrerer Blutlachen vor Ort nicht für erforderlich.
Anhaltende Folgen
Sofort nach seiner Ankunft im Krankenhaus musste der 22-Jährige notoperiert werden. Mehr als eine Woche schwebte er aufgrund des hohen Blutverlustes und nach einem Hirninfarkt in akuter Lebensgefahr. Danach begannen intensive Rehabilitationsbehandlungen, gefolgt von mehrfach wöchentlich stattfindenden ärztlichen und therapeutischen Sitzungen. Bis heute – knapp neun Monate nach dem Angriff – leidet der Betroffene weiterhin an den Folgen des Angriffs, u.a. einer Bewegungsbeeinträchtigung des linken Arms, Sprachstörungen und eingeschränkter Belastbarkeit.
Auch die psychischen Folgen sind gravierend. So fühlt sich der Betroffene in Halle nicht mehr sicher. Die Ereignisse lasten wie ein Albtraum auf dem 22-Jährigen und seiner Familie. Deshalb wollen sie nach Beendigung des Prozesses schnellstmöglich in eine andere Stadt umziehen. Hierfür benötigen sie jede nur mögliche Hilfestellung.
Besonders belastend ist für den 22-Jährigen, dass er lediglich versucht hatte, einen Streit zu schlichten und sich die lebensgefährliche Messerattacke auf sich nicht erklären kann. Auch seine Freunde fragen sich, warum gerade er so schwer angegriffen wurde. Vor Gericht beschrieben sie ihn u.a. als sehr ruhig, immer hilfsbereit und bei Konflikten deeskalierend.
Die Hinweise für ein Vorliegen einer möglichen politisch rechten bzw. rassistischen Tatmotivation indes beschränken sich nicht allein auf die geäußerten rechten Parolen als Auslöser für die Massenschlägerei. So sollen im Beisein der Polizei laut Zeugenaussagen direkt nach Beendigung der Schlägerei „Sieg-Heil“-Rufe aus der Gruppe um den Angeklagten gefallen sein, denen allerdings nicht nachgegangen wurde. Weiterhin sagte ein Bekannter des Betroffenen aus, dass ihm und seinen Freunden – als sie gerade vom Tatort zum Krankenhaus aufbrachen „Da laufen die Scheiß Kanaken!“ nachgerufen worden sei.
Da der Angeklagte die Tat bestreitet, waren von ihm keine Antworten zu erwarten. Allerdings konnte eine Reihe von Zeugen aus seinem Umfeld ihn vor Gericht nicht effektiv entlasten. Demgegenüber erkannten ihn weitere Zeugen zweifelsfrei als Messerstecher wieder. „Wir erwarten vom Gericht eine angemessene Strafe“, so der Betroffene und seine Eltern.