Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 09.05.2006
Plädoyers: Donnerstag, den 11. Mai 2006, 8:00 Uhr, Amtsgericht Halberstadt, Strafkammersaal, Richard-Wagner-Str. 52, Halberstadt
Vor dem Amtsgericht Halberstadt findet seit dem 6. Februar 2006 ein Prozess gegen drei polizeibekannte Neonazis statt, denen u.a. die Beteiligung an einem schweren Angriff auf einen Flüchtling aus Liberia und einen Beamten der Bundespolizei zur Last gelegt wird. Die Staatsanwaltschaft Halberstadt wirft dem 27jährigen Guido L., dem 30jährigen Marco H. und dem 25jährigen Michel S. u.a. gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor. Einen weiteren Angriff auf einen couragierten Passanten, der die Gruppe der Täter zur Beweissicherung fotografierte und deshalb von den Rechten ebenfalls verletzt wurde, hat die Staatsanwaltschaft Halberstadt aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht zur Anklage gebracht.
Durch die Anhörung von rund 30 Zeugen und Zeuginnen in der Hauptverhandlung wurden die Anklagevorwürfe im wesentlichen bestätigt. Zudem berichteten mehrere Zeugen übereinstimmend von dem – nicht angeklagten – Angriff der Rechten auf den mutigen Passanten. Aus den Zeugenaussagen ergibt sich folgendes Bild: Am Nachmittag des 5. Mai 2005 hatte eine Gruppe von etwa acht Rechten, die zuvor in einer Gaststätte mit dem als Sänger der Neonaziband Skinheads Sachsen-Anhalt (SSA) bekannten Peter Karich an einer sogenannten „Herrentagsfeier“ teilgenommen hatten, am Bahnhof Halberstadt zunächst einen 36jährigen Asylsuchenden aus Liberia gejagt. Der Asylsuchende versuchte vergeblich, sich in ein Taxi am Bahnhof zu flüchten. Der Taxifahrer weigerte sich, den verängstigten Flüchtling vor den Angreifern in Sicherheit zu bringen. Auch ein halbes Dutzend Passanten und weitere Taxifahrer, die die Hetzjagd der Rechten auf den Betroffenen beobachteten, intervenierten nicht.
Hilfe fand der Liberianer schließlich bei einem 32jährigen uniformierten Beamten der Bundespolizei, der auf dem Weg zur Arbeit die Hetzjagd bemerkte. Der Beamte bot dem liberianischen Mann Schutz an. Als er den Flüchtling in sein Auto in Sicherheit bringen wollte, griff die Gruppe der Rechten erneut an. Die Angreifer zerschlugen eine Flasche auf den Kopf des Liberianers und traten und schlugen dann auf ihr am Boden liegendes Opfer ein. Trotz mehrfacher Rufe des Beamten, die Polizei zu verständigen, reagierten auch jetzt Passanten und Taxifahrer nicht. Auch der 32jährige Beamte wurde mit Faustschlägen, Fußtritten und Flaschen derart attackiert, dass auch er zu Boden ging. Dann wurde er von den Angreifern am ganzen Körper getreten. Beide Betroffenen erlitten u.a. schwere Kopfverletzungen.
Vier couragierte Männer, die erst zu diesem Zeitpunkt auf den Angriff aufmerksam wurden, verhinderten dann, dass die Rechten sich seelenruhig vom Tatort entfernen konnten. Dabei wurden einer der Passanten von den Rechten durch Schläge massiv verletzt, dessen Freund leicht. Der heute 54-jährige Journalist war den Angreifern gefolgt, die sich ungehindert vom Tatort entfernten und hatte mit seinem Fotoapparat Aufnahmen von ihnen gemacht. Als drei der Rechten dies bemerkten, kamen sie zurück und attackierten den Helfer.
Schon zu Prozessbeginn hatte die Mobile Opferberatung kritisiert, es sei nicht nachvollziehbar, „dass die Staatsanwaltschaft Halberstadt den Angriff auf die zivilcouragierten Passanten nicht in die Anklage aufgenommen hat. „Damit werden diejenigen, die anders als die überwiegende Mehrheit an diesem Tag eingegriffen haben, von staatlichen Stellen missachtet,“ so eine Sprecherin der Opferberatung.
Bei dem Angeklagten Michel S. handelt es sich um einen bekennenden, gewaltbereiten Neonazi, der die zur Last gelegten Angriffe während einer Bewährungszeit verübte. Michel S. ist bereits ein halbes Dutzend Mal wegen Körperverletzungsdelikten zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, die immer wieder zur Bewährung ausgesetzt wurden. Vor Gericht bemühte sich der Angeklagte, die Tätowierung des neonazistischen Codes „14 Words“ auf seiner linken Halsseite zu verdecken. Die so genannten „14 Worte” stehen als neonazistisches Bekenntnis zu einer sogenannten weißen Vorherrschaft für die Parole eines inhaftierten us-amerikanischen Neonaziterroristen „Wir müssen das Überleben unseres Volkes und auch eine Zukunft für weiße Kinder sichern“).