Anlaufstelle Süd (Halle), 02.02.2006

Vor dem Amtsgericht Halberstadt beginnt am Montag, den 6. Februar 2006, 8.15 Uhr, Strafkammersaal, ein Prozess gegen drei polizeibekannte Neonazis, denen u.a. die Beteiligung an einem schweren Angriff auf einen Asylsuchenden aus Liberia und einen Beamten der Bundespolizei zur Last gelegt wird. Die Staatsanwaltschaft Halberstadt wirft dem 27jährigen Guido L., dem 30jährigen Marco H. und dem 25jährigen Michel S. u.a. gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor. Einen weiteren Angriff auf einen zivilcouragierten Passanten, der die Gruppe der Täter zur Beweissicherung fotografierte und aufgrund dessen von den Rechten ebenfalls verletzt wurde, hat die Staatsanwaltschaft Halberstadt aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht zur Anklage gebracht.

Am Nachmittag des 5. Mai 2005, gegen 17.00 Uhr, hatte eine Gruppe von sechs bis acht Rechten, die zuvor in einer Gaststätte mit dem als Sänger der Neonaziband Skinheads Sachsen-Anhalt (SSA) bekannten Peter Karich an einer sogenannten „Herrentagsfeier“ teilgenommen hatten, am Bahnhof Halberstadt zunächst einen 36jährigen Asylsuchenden aus Liberia gejagt. Der Asylsuchende versuchte vergeblich, sich in ein Taxi am Bahnhof zu flüchten. Der Taxifahrer weigerte sich, den verängstigten Flüchtling vor den Angreifern in Sicherheit zu bringen. Auch ein halbes Dutzend Passanten und weitere Taxifahrer, die die Hetzjagd der Rechten auf den Betroffenen beobachteten, intervenierten nicht.

Hilfe fand der Betroffene schließlich bei einem 32jährigen uniformierten Beamten der Bundespolizei, der auf dem Weg zur Arbeit die Hetzjagd bemerkte. Der Beamte bot dem liberianischen Asylsuchenden Schutz an. Als er den Flüchtling in sein Auto in Sicherheit bringen wollte, griff die Gruppe der Rechten erneut an. Die Angreifer zerschlugen eine Flasche auf den Kopf des Liberianers und traten und schlugen dann auf ihr am Boden liegendes Opfer ein. Trotz mehrfacher Rufe des Beamten, die Polizei zu verständigen, reagierten auch jetzt Passanten und Taxifahrer nicht. Auch der 32jährige Beamte wurde mit Faustschlägen, Fußtritten und Flaschen derart attackiert, dass auch er zu Boden ging. Dann wurde er von den Angreifern am ganzen Körper getreten. Beide Betroffenen erlitten u.a. schwere Kopfverletzungen.

Vier zivilcouragierte Männer, die erst zu diesem Zeitpunkt auf den Angriff aufmerksam wurden, verhinderten dann, dass die Rechten sich seelenruhig vom Tatort entfernen konnten. Dabei wurden einer der Hilfeleistenden ebenfalls von den Rechten durch Schläge massiv verletzt.

„Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft Halberstadt den Angriff auf die zivilcouragierten Passanten nicht in die Anklage aufgenommen hat,“ kritisiert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Damit wird Zivilcourage nicht nur nicht gewürdigt, sondern diejenigen, die anders als die überwiegende Mehrheit an diesem Tag, eingegriffen haben, werden auch noch von staatlichen Stellen missachtet.“

Bei dem Angeklagten Michel S. handelt es sich um einen bekennenden, gewaltbereiten Neonazi, der die zur Last gelegten Angriffe während einer Bewährungszeit verübte. Michel S. ist bereits ein halbes Dutzend Mal wegen Körperverletzungsdelikten zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, die immer wieder zur Bewährung ausgesetzt wurden. Der Angeklagte trägt seine rechtsextreme Gesinnung auch mit der Tätowierung „14 Words“ auf der linken Halsseite zur Schau. Die so genannten „14 Worte” stehen als neonazistisches Bekenntnis zu einer sogenannten weißen Vorherrschaft für die Parole eines inhaftierten us-amerikanischen Neonaziterroristen „Wir müssen das Überleben unseres Volkes und auch eine Zukunft für weiße Kinder sichern“).

Eine Fortsetzung der Hauptverhandlung ist für den 20. Februar 2005, ab 8.15 Uhr geplant.