Anlaufstelle Süd (Halle), 22.09.2006

Einer der Angeklagten wurde erst im Mai 06 wg. Beteiligung am rassistischen Herrentagsangriff am Halberstädter Bahnhof verurteilt

Vor dem Amtsgericht Halberstadt (Strafkammersaal) beginnt am Dienstag, den 26. September 2006, 8.30 Uhr, der Prozess gegen zwei Neonazis u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung. Ihnen wird vorgeworfen, am 12. Januar 2005, vor mehr als zwanzig Monaten, auf dem Schulhof einer Wernigeröder Berufsschule zuerst zwei Punks angegriffen und kurz darauf einen Lehrer verletzt zu haben. Bei ihrer Festnahme sollen sie die eingesetzten Beamten noch aggressiv beleidigt haben.

Bereits auf dem morgendlichen Weg zu seiner Berufsschule wurde einer der späteren Geschädigten, ein damals 18-jähriger Punk, von zwei augenscheinlich Rechten aufgrund seines Äußeren angepöbelt. Als sich der alternative Jugendliche gemeinsam mit einem befreundeten Punk kurz nach 9.10 Uhr auf den Schulhof begeben wollte, wird dieser im Eingangsbereich nach dem Ausruf „Da seid ihr ja, ihr Punks!“ plötzlich von einem der beiden Neonazis mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Der Betroffene macht auf dem Absatz kehrt und will sich in das Schulgebäude zurückziehen. Sein Freund folgt ihm. In diesem Moment spürt er einen Schlag auf seinem Hinterkopf und splitterndes Glas. Offenbar hatte ihm einer der Neonazis gezielt von hinten eine Bierflasche auf den Kopf geschlagen. Er taumelt, kann aber weiterlaufen. Am Hinterkopf blutend, mit Platz- und Schnittwunden bzw. mit einer Jochbeinschwellung begeben sich die beiden 18-Jährigen schließlich zum Sekretariat, wo Notfallambulanz und Polizei verständigt werden.

Währenddessen greifen die Neonazis auf dem Schulhof einen Jugendlichen aus der Gothic-Szene an, der mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen wird. Der Schüler erleidet eine Verletzung an der Unterlippe. Bei ihrer Flucht vom Gelände versucht einer der Rechten, selbst Auszubildender zum Maler und Lackierer an der Berufsbildenden Schule, noch den hofaufsichtsführenden Lehrer ins Gesicht zu schlagen. Dieser kann sich wegdrehen, weshalb ihn der Faustschlag mit voller Wucht an der Schulter trifft. Der Pädagoge klagt in der Folge über Schmerzen im Bereich seiner Wirbelsäule.

Durch die von der Polizei eingeleitete Fahndung können die zur Tatzeit 20- und 24-jährigen, alkoholisierten Tatverdächtigen am Bahnhof in Halberstadt vom BGS vorläufig festgenommen werden. Trotz einer laufenden Bewährungszeit wird der bereits u.a. wegen einem Dutzend Körperverletzungen vorbestrafte Michel S. noch am Nachmittag aus dem Polizeigewahrsam entlassen, ebenso wie Christian P.

Bei dem jetzigen Angeklagten Michel S. handelt es sich zudem um einen bekennenden Neonazi. Er hat sich seine rechtsextreme Gesinnung mit der Tätowierung „14 words“ auf der linken Halsseite verewigt. Die so genannten „14 Worte” sind ein beliebter neonazistischer Code für die Parole eines inhaftierten us-amerikanischen Neonaziterroristen: „Wir müssen das Überleben unseres Volkes und auch eine Zukunft für weiße Kinder sichern“ Sie stehen für ein eindeutiges Bekenntnis zur Durchsetzung einer imaginierten weißen Vorherrschaft mit Gewalt.

Weiter auf freiem Fuß, griff Michel S. nur vier Monate später, am Nachmittag des sogenannten Herrentags gemeinsam mit etwa einem Dutzend weiterer Rechter einen 36-jährigen Asylsuchenden aus Liberia sowie einen zu Hilfe eilenden 32-jährigen uniformierten Beamten der Bundespolizei an. Am 6. Mai 2006 wurde er deshalb und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bei seiner Festnahme vom Amtsgericht Halberstadt zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Urteilsbegründung war damals u.a. von Betroffenen und der Mobilen Opferberatung scharf kritisiert worden, weil das Gericht rassistische Motive bei den Angreifern nicht feststellen wollte.

„Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft nach dem Angriff an der Berufsschule in Wernigerode angemessen gehandelt hätten, wäre es möglicherweise nicht zu dem rassistischen Herrentagsangriff vier Monate später gekommen“, kritisiert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Die Praxis von Polizei und Staatsanwaltschaft, wegen mehrfacher Körperverletzungsdelikten verurteilte Neonazis auch beim x-ten Angriff noch wie Ladendiebe zu behandeln, ist eine Ermutigung zum Weitermachen.“ Bis dato ist lediglich ein Verhandlungstag anberaumt. Für den kommenden Dienstag sind vier Zeugen geladen.