Anlaufstelle Süd (Halle), 27.01.2009

Betroffene fordern Aufklärung des Angriffs und der Tatmotivation / Beginn: Freitag, den 30.01.2009, 9:00 Uhr, Amtsgericht Merseburg, Geusaer Str. 88, Saal 1

Am Freitag, den 30. Januar 2009, beginnt am Amtsgericht Merseburg ab 9:00 Uhr der Prozess gegen zwei Rechte im Alter von 25 und 28 Jahren wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft legt den Angeklagten zur Last, vor eineinhalb Jahren zusammen mit anderen Beteiligten im Merseburger Schlossgarten gezielt eine Gruppe angegriffen und dabei vier Personen verletzt zu haben.

Während des Angriffs hatten die Täter immer wieder Parolen wie „Das ist unser Merseburg, haut ab hier!“ gerufen und die überwiegend augenscheinlich alternativen Betroffenen u.a. mit „Scheiß Zecken“ beschimpft. Einer der Angeklagten, der zur Tatzeit 27-jährige Sebastian S., nimmt zudem seit Jahren als bekennender Neonazi regional und überregional an rechten Aufmärschen und Aktionen teil, zuletzt an der Demonstration von etwa 700 Rechtsextremen am 17. Januar 2009 anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Magdeburgs. Für eine rechte Mahnwache am 6. Dezember 2008 im Stadtzentrum Merseburgs fungierte er auch als Anmelder.

„Die Betroffenen erwarten vom Gericht eine umfassende Aufklärung des Angriffs und der Hintergründe für die Tat“, so die Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Bisher ist für den kommenden Prozess nur ein Verhandlungstag anberaumt, an dem insgesamt elf Zeugen gehört werden sollen. Etliche Betroffene und Tatzeugen hingegen wurden vom Gericht erst gar nicht geladen.

„Das ist unser Merseburg!“

Am Abend des 13. Juli 2007, hatten sich mehrere alternative Jugendliche und Punks wie auch sonst in den Sommermonaten im Merseburger Schlossgarten getroffen. Zudem hielten sich etliche weitere Jugendliche im Schlossgarten auf, um ihren Schulabschluss zu feiern. Man sitzt auf den Bänken oder steht in kleineren Gruppen zusammen. Plötzlich, gegen 23.00 Uhr, betreten mindestens vier unbekannte Männer den Park und gehen sofort auf mehrere augenscheinlich Alternative los. Immer wenn andere Jugendliche den Angegriffenen beistehen wollen, schlagen und treten die Angreifer auf die Helfenden ein. Von den etwa ein Dutzend attackierten jungen Menschen werden mehrere verletzt. Ein 19-jähriger Alternativer, der bei dem Angriff bewusstlos zu Boden ging, muss aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas und Nasenbeinrisses drei Tage im Krankenhaus bleiben. Ein 32-jähriger Nichtrechter erleidet durch einen Schlag mit einer Bierflasche gegen seinen Kopf eine stark blutende Schnittverletzung an einem Ohr, ein 17-jähriger Punk eine Schwellung der linken Gesichtshälfte, ein 19-Jähriger Alternativer Rückenschmerzen durch einen Tritt, ein 15-Jähriger eine aufgeplatzte, blutende Lippe. Weitere Betroffene erleiden u.a. Hämatome und Platzwunden im Gesicht.

Unverständnis und Kritik seitens der Betroffenen

Erst nach mehreren Anrufen beim Notruf der Polizei wurden schließlich Einsatzkräfte zum Tatort beordert. Zuvor hatten zwei hilfesuchende Betroffene die telefonische Auskunft erhalten, sie sollten zum Revier kommen. Mit der Notfallambulanz wurden ein 19- und der 32-jährige Betroffene schließlich ins Carl-von-Basedow-Klinikum in Merseburg gebracht. Nachdem eine Ärztin geäußert hatte, die Betroffenen hätten selbst Schuld, weil sie immer provozieren würden, verließ einer der fassungslosen Betroffenen trotz blutender Schnittverletzung ohne Behandlung das Krankenhaus. Nur aufgrund der Schwere seiner Verletzungen entschied sich der 19-Jährige zu bleiben.

Zudem übten mehrere der Betroffenen Kritik am Verhalten zweier Mitarbeiter eines von der Stadt Merseburg beauftragten Wachdienstes vor Ort, von denen sie sich vergeblich Hilfe erhofft hatten. Die Wachschützer waren zur Tatzeit am Schlossgarten auf Streife und hatten den Angriff aus sicherer Entfernung beobachtet, ohne zumindest verbal einzugreifen. Die aufgrund der Anzeigen von Betroffenen eingeleiteten Ermittlungen wegen unterlassener Hilfeleistung wurden mittlerweile eingestellt.

In der Folge ermittelte die Polizei schließlich vier Tatverdächtige. Mitte 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft Halle den Erlass von Strafbefehlen gegen zwei der Beschuldigten. „Wäre es nach der Staatsanwaltschaft Halle gegangen, hätte sie den massiven rechten Angriff ohne öffentliche Verhandlung zu den Akten gelegt“, kritisiert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Zwei der Betroffenen, die bei dem Prozess auch als Nebenkläger auftreten, legten dagegen Beschwerde ein. Das Amtgericht Merseburg hielt es ebenfalls für erforderlich, ein Gerichtsverfahren durchzuführen.