Anlaufstelle Süd (Halle), 04.10.2007

Am Dienstag, den 09. Oktober 2007, beginnt vor dem Amtsgericht Halberstadt in den Räumen des Landgerichts Magdeburg der Prozess gegen vier rechte Schläger, die an dem brutalen Überfall auf das Theaterensemble in Halberstadt am 09. Juni diesen Jahres beteiligt gewesen sein sollen. Den einschlägig vorbestraften Männern im Alter von 22 bis 29 Jahren, die sich zur Tatzeit alle in einer laufenden Bewährung befanden, wird gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Ein Teil der Theatergruppe will in den frühen Morgenstunden des 09. Juni die Premiere ihres in Thale aufgeführten Stückes „Rocky Horror Show“ feiern. Als sie in die Gaststätte „Zum Spucknapf“ wollen, wird eine Person des Ensembles aufgrund seines roten Irokesenschnittes vom Türsteher mit den Worten „Keine Linken, keine Rechten, keine Punks!“ am Betreten gehindert. Die Gruppe merkt aber schnell, dass das keineswegs der Philosophie der Lokalität entspricht, da sie im und vor der Gaststätte mehrere augenscheinlich Rechte bemerken. Als sich die gesamte Gruppe daraufhin entschließt, gemeinsam eine andere Lokalität auf zu suchen, wird sie wenige Meter von der Gaststätte entfernt aus einer Gruppe von ca. acht Rechten angegriffen. Dabei werden fünf männliche Mitglieder des Theaterensembles durch Faustschläge und Fußtritte schwer verletzt, so dass sie ambulant bzw. stationär im Krankenhaus behandelt werden müssen.

Als gerufene Polizei eintrifft, nimmt diese zunächst die Personalien aller Betroffenen akribisch auf, ohne sich um die offensichtlich Verletzten zu kümmern. Die Täter, die teilweise noch vor Ort sind, werden von den Beamten trotz mehrfacher Aufforderung der Betroffenen viel zu spät verfolgt und können dadurch fliehen. Der mutmaßliche Haupttäter fährt kurz darauf mit dem Fahrrad am Tatort vorbei und wieder reagiert die Polizei erst nachdem sie durch die Betroffenen mehrfach aufgefordert wird. Diese nimmt die Personalien des 22-jährigen, einschlägig vorbestraften und sich in einer laufenden Bewährung befindenden Mannes auf und lässt ihn wieder laufen. Die ZeugInnen, welche allein am Tatort zurück gelassen werden, entdecken auf dem Heimweg an einem Imbiss die zuvor geflüchteten Angreifer und rufen abermals die Polizei. Als die Beamten eintreffen sind die mutmaßlichen Täter jedoch schon wieder weg. Auf die Bitte der ZeugInnen mit im Polizeiauto fahren zu können um nach den Tätern Ausschau zu halten, reagieren die Beamten nicht und lassen sie erneut allein auf der Straße stehen. Während des Angriffs standen in etwa 100 m Entfernung zwei Taxen und mehrere Personen vor der Gaststätte „Zum Spucknapf“ und beobachteten alles, griffen aber nicht ein.
„Der Angriff auf das Theaterensemble ist leider einer von vielen rechten Gewaltakten in Sachsen – Anhalt und auch in Halberstadt nichts neues“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Im gesamten letzten Jahr registrierte unsere Beratungsstelle sechs politisch rechtsmotivierte Angriffe in Halberstadt, in den ersten drei Quartalen diesen Jahres sind es schon elf. Also kann von einem Rückgang der rechten Gewaltstraftaten, wie Innenminister Hövelmann auf einer Kabinettsitzung am 11. September 2007 verkündete, zumindest in Halberstadt nicht die Rede sein.“

Die Tatsache, dass Anhänger der rechten Szene immer offener und dreister ihre Gesinnung zum Beispiel durch das Besetzen öffentlicher Räume zur Schau stellen, aber auch die Tatsache, dass große Teile der Zivilgesellschaft dies tolerieren, übersehen oder ganz bewusst wegschauen, begünstigt eine solche Entwicklung. Es ist daher wichtig, dass sowohl Politiker, Polizei und Justiz, als auch die Schulen und Vereine und nicht zuletzt viele Bürgerinnen und Bürger sich gegen Neo-Nazis und Rechtsextremismus praktisch engagieren. Ein erster Schritt ist die Gründung eines Präventionsrates am 3. September 2007 in Halberstadt. Im Mittelpunkt der Tätigkeiten des Präventionsrates soll eine Vernetzung aller regionalen Aktivitäten gegen Rechtsextremismus stehen. Doch mangelte es in diesem Fall nicht nur an der Zivilcourage der „Zuschauer“ sondern auch der Polizeieinsatz vor Ort war, wie auch ein mittlerweile vorgelegter Untersuchungsbericht bestätigt, von massiven Pannen und Fehlverhalten der Beamten gekennzeichnet. Innenminister Holger Hövelmann hatte daraufhin alle Polizeibeamten Sachsen-Anhalts in einem offenen Brief zu „Null Toleranz“ gegenüber Rechtsradikalen aufgerufen. Allerdings wird nur knapp zwei Monate später ein erneutes schwerwiegendes Versagen der Polizei bei einem rechten Angriff in Burg öffentlich.

Als am 2. August 2007 kurz nach Mitternacht drei betrunkene Männer die Wohnungstür einer vierköpfigen vietnamesischen Familie eintreten und sie mit ausländerfeindlichen Parolen beschimpfen und anschließend den 14-jährigen Sohn ins Gesicht schlagen, nehmen die gerufenen Polizeibeamten lediglich die Personalien der drei Männer auf und verweisen sie aus der Wohnung. Da den Beamten die von ihnen erbetene Verstärkung von ihrer Dienststelle verwehrt wird, fahren sie einfach wieder weg. Die Familie flüchtet sich aus Angst vor weiteren Angriffen in ihre Gaststätte und verbringt dort den Rest der Nacht. Die Männer dringen erneut in die Wohnung ein, verwüsten diese und entwenden Eigentum der Familie. Auf das Fehlverhalten der Polizei wurde mit der Versetzung des Dienstgruppenleiters und dessen Stellvertreter nach Genthin reagiert und wiederholt von höchster Stelle erklärt, dass ein Fehlverhalten der Polizei nicht geduldet wird.

„Wir hoffen, dass die vielfach angekündigten Maßnahmen zur Verbesserung der Polizeiarbeit bei rechten Straftaten auch baldmöglichst in der Praxis greifen. Derartige Fälle polizeilichen Fehlverhaltens dürfen einfach nicht passieren“, erklärt eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat u. a. zur Polizeiarbeit am 9. Juni in Halberstadt einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der am Montag, den 8. Oktober seine konstituierende Sitzung hat.

Die Mobile Opferberatung lädt Sie gemeinsam mit der Arbeitsstelle Rechtsextremismus von Miteinander e.V. zu einem Pressegespräch am Montag, den 8. Oktober 2007 um 10:30 im Eine-Welt-Haus Magdeburg, Raum 02 ein. Gegenstand sind die Zahlen zu rechtsmotivierten Angriffen der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt der letzten neun Monate, ein Lagebild zur Entwicklung der rechtsextremen Szene in Sachsen-Anhalt und Informationen zum Prozess.