Anlaufstelle Süd (Halle), 11.12.2006
Nachdem die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten Stefan G. nach dem ersten Prozesstag Anfang November 2006 ausgesetzt worden war, weil seine Aussage erheblich von denen der beiden Betroffenen abwich und deshalb weitere Zeugen gehört werden sollen, wird der Prozess am 12. Dezember 2006, ab 9.30 Uhr vor dem Amtsgericht Halle neu aufgerollt.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 22-jährigen G. vor, am 17. Juni 2005, gegen 22.30 Uhr, mit einem weiteren Angreifer gemeinschaftlich handelnd grundlos zwei Personen zu Boden geschlagen und dann weiter mit Tritten und Schlägen traktiert zu haben. Demgegenüber gehen die Betroffenen von einem gezielten rechtsextremen Angriff aus: Die Studenten hatten am 17. Juni 2005 gegen einen Aufmarsch von ca. 150 Neonazis der militanten Kameradschaftsszene in Halle demonstriert und beobachteten in gebührendem Abstand gerade die Auflösung der Demonstration auf dem Bahnhofsvorplatz. Vor den Augen der Polizei wurden die beiden 20-Jährigen, die gerade in ein Gespräch mit einem Pfarrer vertieft waren, plötzlich von zwei Aufmarschteilnehmern angegriffen. Nach der Äußerung eines der beiden Neonazis „Na, habt ihr schön gegendemonstriert?“ wurden beide Betroffene fast zeitgleich gezielt gegen ihre Köpfe geschlagen, sodass sie zu Boden gingen. Dann traten die Angreifer auf ihre am Boden liegenden Opfer ein. Die Neonazis hörten erst auf, als Polizeibeamte eingriffen. Beide Betroffene erlitten u.a. Prellungen und mussten ambulant behandelt werden.
Das Amtsgericht Halle hatte gegen den Beschuldigten einen Strafbefehl in Höhe von 210 Tagessätzen á 20 Euro erlassen. Zur öffentlichen Hauptverhandlung kommt es nun, weil der Beschuldigte dagegen Einspruch eingelegt hat.
Nicht nur dieser Angriff zeugt von erheblichem Selbstbewusstsein der militanten Neonaziszene. Bereits einen Tag vor dem Aufmarsch, am 16. Juni 2005, griffen ein halbes Dutzend militanter Neonazis im alternativen Paulus-Viertel in Halle drei junge Männer aus der Antifa-Bewegung gezielt an. Unter den rechtsextremen Angreifern, die gegen Mitternacht offenbar Propagandamaterial für die Demonstration im Paulus-Viertel geklebt hatten, befand sich auch der Anmelder des Aufmarsches tags darauf, der 23-jährige Matthias Bady. Ein 22-Jähriger wurde von einem Neonazis in den Bauch getreten, ein 26-Jähriger u.a. durch einen Faustschlag ins Gesicht so verletzt, dass er sich ambulant behandeln lassen musste. Der Prozess gegen drei Angeklagte wird am 17. Januar 2007 vor dem Amtsgericht Halle beginnen.
„Mit den Angriffen hat die überregional vernetzte Neonaziszene aus Leipzig und Halle erneut gezeigt, dass sie selbstbewusst und gewalttätig gegen alle vorgeht, die als „politische Gegner“ definiert werden,“ sagt Zissi Sauermann von der Mobilen Opferberatung. „Besorgniserregend ist dabei auch, dass sich die Neonazis im Internet mit den Angriffen trotz einer Personalienfeststellung durch die Polizei brüsteten.“ So wurde in einem Beitrag zur Nachbetrachtung der Demonstration auf der homepage des rechtsextremen Internetportals „Nationaler Beobachter Leipzig“ einige Tage später ironisch bemerkt: „Nichts desto trotz fand man bei einigen Antifanten am Bahnhof noch einmal das Bürgergespräch und „redete“ sie zu Boden.“ Auch auf der website des „Nationalen Beobachters Halle / Merseburg“ fand sich bereits einen Tag nach dem Aufmarsch ein Beitrag, in dem die Angreifer stolz erklären, „eine unserer Sicherheitsstreifen durch das Paulusviertel“ habe einen „Antifanten […] abgemahnt“. Dabei wurde einer der Betroffenen namentlich erwähnt. Es ist nicht das erste Mal, dass AntifaschistInnen mit Namen, Adressen und teilweise auch Fotos in „sogenannten Feindlisten“ im „Nationalen Beobachter“ veröffentlicht werden und damit von den Neonazis als Ziele für weitere Drohungen und Angriffe definiert werden.