Mobile Opferberatung, 15.10.2020
Beginn: Freitag, 16.10.20, 9:00 Uhr sowie Mittwoch, 21.10.2020, 9:00 Uhr
Ort: Landgericht Halle, Hansering 13, 06108 Halle (Saale); Saal 141
Am morgigen Freitag, dem 16. Oktober 2020, wird um 9:00 Uhr am Landgericht Halle der Prozess wegen eines politisch rechts motivierten Angriffs eröffnet, der fast genau ein Jahr zurückliegt. Nur eine Woche nach dem rechtsterroristischen Anschlag von Halle hatten drei junge Frauen interveniert, als ein 39-Jähriger am Abend des 17. Oktober drei Schwarze Männer in der Straßenbahn massiv rassistisch beleidigte und den Hitlergruß zeigte. Dabei waren zwei von ihnen selbst beleidigt und z.T. erheblich verletzt worden.
Zunächst hatte eine junge Frau gegen 19 Uhr aufgrund der bedrohlichen Situation kurz vor der Haltestelle Steintor die Notbremse gezogen und die Straßenbahnfahrerin gebeten, die Polizei zu informieren. Dann versuchten eine 25-jährige Studentin und eine 19-jährige Angestellte verbal, den Mann zu stoppen. Daraufhin beleidigte der alkoholisierte Mann die beiden sexistisch, die 19-jährige PoC auch rassistisch und schlug auf sie ein. Zudem zog er die 25-Jährige an den Haaren nach unten und würgte sie. Gemeinsam gelang es den bis dato nicht miteinander bekannten Frauen, den Angreifer abzuwehren. Als sich die Türen öffneten, verließ der Täter die Straßenbahn, konnte jedoch von der eintreffenden Polizei gestellt werden. Die 19-Jährige erlitt eine Verletzung am Kopf, die 25-Jährige musste mit diversen Prellungen ambulant im Krankenhaus behandelt werden.
Staatsanwaltschaft Halle stellt Verfahren ein
Dass der Angriff überhaupt vor Gericht verhandelt wird, ist einzig dem Engagement der verletzten Frauen und ihrer Anwältinnen zu verdanken. So hatte die Staatsanwaltschaft Halle das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten im Februar 2020 nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt. Eine solche Einstellung ist u.a. dann möglich, wenn die zu erwartende Strafe neben einer anderen – hier nach Anklage wegen versuchten Totschlags aus Dezember 2019 – „nicht beträchtlich ins Gewicht fällt“. Allerdings besagt eine Richtlinie über die Verfolgung politisch motivierter Straftäter des Justizministeriums Sachsen-Anhalts, dass bei einer solchen Einstellung „die Auswirkungen der Tat auf das Opfer und das öffentliche Verfolgungsinteresse (…) besonders zu beachten“ sind (vgl. Justizministerialblatt für das Land Sachsen-Anhalt, 17. Jg./ Nr. 12, 12.12.2011, S. 164).
„Aus langjähriger Erfahrung wissen wir, wie zentral das Einschreiten von Zeug*innen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitische Angriffe ist: nicht nur in der Situation selbst, sondern auch für die Verarbeitung des Erlebten. Umso wichtiger ist es, dass durch ihre Intervention selbst betroffene, zivilcouragierte Helfer*innen auch von Seiten der Justiz erfahren, dass solche Taten konsequent verfolgt werden“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung.
Extrem rechte Motivation wahr- und ernst nehmen
Nach Beschwerde der Nebenklägervertreterinnen erhob die Staatsanwaltschaft schließlich im Mai 2020 Anklage gegen den einschlägig polizeibekannten und mehrfach vorbestraften Angeklagten wegen Volksverhetzung, Körperverletzung, Beleidigung sowie des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Neben den beiden Betroffenen, die auch als Nebenklägerinnen auftreten, sind drei weitere Zeug*innen zum Prozessauftakt geladen.
In dem Verfahren wegen versuchten Totschlags wurde der Angeklagte im Juni 2020 vom Landgericht Halle aufgrund einer psychischen Erkrankung nach langjährigem Alkohol-und Drogenkonsum für schuldunfähig befunden, ein Entzug angeordnet und im Anschluss daran die Einweisung in eine psychiatrische Anstalt.
„Wir erwarten von der Justiz, dass die extrem rechte Motivation des Angeklagten, welche in den menschenverachtenden, rassistischen und sexistischen Gesten bzw. Beleidigungen während der Tat deutlich wurde, unabhängig von einer möglichen psychischen Erkrankung wahr- und ernstgenommen wird“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung.
Achtung Bildberichterstatter*innen:
Wir bitten im Namen der Betroffenen darum, auf Film- bzw. Bildaufnahmen von ihnen zu verzichten. Für Interviews stehen Ihnen nach Möglichkeit die Nebenklagevertreterinnen der Betroffenen vor Ort zur Verfügung.