Anlaufstelle Süd (Halle), 07.11.2007
Am 26. Juni 2007 begann der Prozess um den Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft am 6. Januar dieses Jahres in Sangerhausen. Vor der Jugendkammer des Landgerichts Halle sind eine Frau wegen Beihilfe und drei Männer des versuchten Mordes und der besonders schweren Brandstiftung aus fremdenfeindlicher Motivation heraus angeklagt.
Die vier Angeklagten Christian K. (25), Glenn K. (27), Danny R. (26) und Franziska Z. (21) kamen in der Tatnacht von einer Feier auf dem Grundstück des überregional bekannten Neonazis Enrico Marx im benachbarten Sotterhausen. Sie waren nicht das erste Mal dort und zählen zum Teil zum engeren Bekanntenkreis. Unter dem Namen „Zum Thingplatz“ dient das Gehöft als Szenetreffpunkt für Rechtsextreme und SympathisantInnen. Im März 2006 wurde dort der „Stützpunkt Sangerhausen“ der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD, gegründet. Zum Teil mit den gleichen Personen, die seit Jahren in der von Marx geführten Kameradschaft „Ostara-Skinheads“ aktiv sind. Wie z.B. Judith Rothe, die Lebensgefährtin von Enrico Marx, die nicht nur Abgeordnete der NPD im Kreistag des Landkreises Mansfeld-Südharz sondern auch stellvertretende Vorsitzende des Rings Nationaler Frauen (RNF) ist.
Die Band „Hatesoldiers“, in der Christian K. als Schlagzeuger mitspielte, probte regelmäßig in Sotterhausen. In den Texten der Band werden die deutschen Soldaten zwischen 1918 und 1945 glorifiziert sowie der Holocaust geleugnet. Erst vor kurzem wurde Enrico Marx seine gewerbliche Tätigkeit, die u. a. im Musik-Versandhandel unter dem Label „Barbarossa-Records“ und Veranstaltung von Rechtsrock-Konzerten bestand, vom Oberverwaltungsgericht Magdeburg vorläufig untersagt. Grund ist die mit der Tätigkeit verbundene „Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus und die Verbreitung neonazistischen Gedankenguts“, heißt es im Beschluss vom 13.09.2007. Insbesondere bei Veranstaltungen auf seinem Grundstück sei es zu einer Vielzahl von einschlägigen Rechtsverstößen gekommen, die er zumindest geduldet hat. Das Gericht sah des Weiteren die Angabe, es handele sich bei den Veranstaltungen um private Feiern, als Schutzbehauptung an. Auch bei der Feier vom 5. auf den 6. Januar 2006 soll es sich laut dem Zeugen Marx nur um eine private Nachsylvesterfeier gehandelt haben.
„Wir halten es für dringend erforderlich, zur Aufklärung der Beweggründe die politischen Aktivitäten in Sotterhausen und deren Einfluss auf die Tatmotivation der Angeklagten zu hinterfragen“, so eine Sprecherin der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt. Bisher zeigt das Gericht daran jedoch kaum Interesse und weist vielfach die Fragen der NebenklagevertreterInnen dazu ab.
Fehlendes Interesse an den Hintergründen der rassistisch motivierten Gewalttat sowie skandalöse Schlampigkeit bei einer Hausdurchsuchung und Beschuldigtenvernehmung muss sich ein Kriminalbeamter der Staatsschutzabteilung FK4 der Polizeidirektion Merseburg vorwerfen lassen. Der Beamte, welcher maßgeblich an den Ermittlungen zum 06.01.2007 beteiligt war, erschien am 21. Hauptverhandlungstag, den 2. November 2007, als Zeuge vor Gericht.
Die Zeugenvernehmung begann mit Fragen zur Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten Christian K. bei seiner Festnahme und der von Franziska Z. am 06.01.07 in Sangerhausen. Ein Nebenklagevertreter will wissen, ob dem Beamten rechtes Propagandamaterial oder ähnliches aufgefallen ist. Ja, er habe Poster mit rechtem Inhalt und CD´s von der Band „Hate Soldiers“ gesehen. Es habe auch noch CD´s von anderen rechten Bands gegeben, aber wie bei den Postern kann er sich an nichts Genaueres mehr erinnern. Das sei seiner Meinung nach für den Sachverhalt auch nicht relevant gewesen. Ebenso wenig hielt er es für notwendig, sich für die Zeugenaussage auf Fragen zu rechten Aktivitäten in und um Sotterhausen vorzubereiten. Er lässt durchblicken, dass er die Observierung des rechten Szenetreffpunkts, die von „oben“ angeordnet wurde, für übertrieben halte, will aber auf Nachfrage dazu keine Antwort geben.
Zur Sicherstellung der Tatkleidung befragt, kamen weitere Versäumnisse zu Tage. Der Beamte war mit den von den Beschuldigten als Tatkleidung benannten und übergebenen Sachen „zufrieden“ und sah keinen Anlass für eine weitere Durchsuchung der Wohnung. Dass es aufgrund der von ihm beschriebenen Unordnung durch überall herumliegende Kleidungsstücke ein Leichtes gewesen wäre, irgendwelche Sachen auszuhändigen, war ihm anscheinend nicht in den Sinn gekommen.
Der Zeuge räumte im weiteren Verlauf ein, die zwingend vorgeschriebene Belehrung einer Beschuldigten, dass diese vor der Vernehmung einen Verteidiger konsultieren dürfe, nicht erteilt zu haben. Dadurch droht die Unverwertbarkeit der polizeilichen Vernehmungen durch den Polizeizeugen. Es soll noch ein weiterer Polizeibeamter gehört werden, der bei der zweiten im Wohnort der Angeklagten in Sachsen stattgefunden Vernehmung mit anwesend war. Dazu wusste der Beamte nur noch, dass dort ein anderes Computersystem verwendet werde, weshalb er nicht genau sagen könne, wie und wann der Beschuldigten die schriftliche Belehrung vorgelegt wurde.
Ermittlungspannen gab es auch bezüglich der Auswertung der Handydaten der Angeklagten. So wurden die Handynummern nicht aktenkundig, weil der Beamte seine Notizen verschlampte. Bei der Überprüfung einer Handynummer erhielt er von Vodafone die Antwort, dass die Nummer nicht bekannt sei. Mit dieser Aussage gab sich der Beamte zufrieden bis die Staatsanwaltschaft Nachermittlungen forderte. Erst dadurch konnte der Nutzer der Nummer namhaft gemacht werden.
„Man darf nicht vergessen, dass der Staatsschutzbeamte mit Ermittlungen wegen schwerer Brandstiftung und versuchten Mordes beauftragt war und nicht wegen Falschparkens. Das Fehlverhalten des Beamten muss Konsequenzen haben und sollte Bestandteil des 10. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sein“, fordert eine Sprecherin der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt. Der Untersuchungsausschuss des Landtags zu Polizeifehlern im Bereich Rechtsextremismus tagt am Freitag, den 08.11.07 zum zweiten Mal.