Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD) (Berlin), 17.09.2010
Neonazis und andere Rechtsextreme haben im ersten Halbjahr 2010 nach den vorläufigen Zahlen des Bundesinnenministeriums mehr als 6.500 Straftaten verübt. Seit März nimmt die Zahl der Gewaltdelikte kontinuierlich zu und hat im Juni mit 78 einen vorläufigen Höchststand erreicht. In Sachsen gab es 2010 bereits 10 Brandanschläge – zuletzt Ende August sogar zwei innerhalb einer Woche in Dresden. Nur durch Glück kam bisher niemand zu Schaden. In Mecklenburg-Vorpommern mehren sich die kampagnenartigen Anschläge auf Partei-, Bürger- und Wahlkreisbüros demokratischer Parteien.
Ende 2010 laufen die beiden Programme gegen Rechtsextremismus „VIELFALT TUT GUT“ und „kompetent. für Demokratie“ aus. 2011 soll nach dem Willen der Bundesregierung das neue Programm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ starten, um Projekte gegen alle Formen des Extremismus zu fördern. Zwar bleibt die Gesamtsumme für die Bekämpfung des Rechtsextremismus gleich, mit diesen Finanzmitteln sollen aber zusätzliche Aufgaben bewältigt werden. Schon heute sind die bestehenden Projekte nicht ausreichend finanziert. Häufig sind die Länder nicht bereit, auch ihrer Verantwortung in diesem Bereich nachzukommen.
Die BAGD, der größte Zusammenschluss von Beratungsteams und Organisationen gegen Rechtsextremismus in Deutschland, kritisiert in ihrem heute veröffentlichten Positionspapier anlässlich der Haushaltsverhandlungen ein fehlendes Gesamtkonzept, dass die in den letzten Jahren entstandenen Projekte gegen Rechtsextremismus nachhaltig sichert. (s.u.) Vielmehr befürchten viele Beratungsprojekte noch in diesem Jahr Büros schließen und Mitarbeiter/innen entlassen zu müssen – wie es für viele Modellprojekten bereits zum 31. August geschehen ist.
Grit Hanneforth, Geschäftsführerin des Kulturbüro Sachsen e.V., erläutert: „Dass in diesem Jahr in Sachsen mit einem Wegbrechen professioneller Projekte, wie Mobiler Beratung und Opferberatung zu rechnen ist, stellt das Engagement des Bundes infrage. Die Finanzierung ist ab Oktober 2010 offen. Wir hoffen, das Bund und Länder umgehend eine Finanzierungslösung finden.“
Diese Entwicklung trifft auch die Modellprojekte, die im Bereich der Prävention, gegen Antisemitismus oder mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen arbeiten. Sie werden voraussichtlich in der Anzahl um die Hälfte reduziert. Gleichzeitig haben die bestehenden Lokalen Aktionspläne mit einer Mittelkürzung um 50% zu rechnen. Timo Reinfrank, Stiftungskoordinator der Amadeu Antonio Stiftung, sagt: „Ich halte es für einen Fehler, die Modellprojekte, die sich gezielt um alle Formen von Demokratiefeindlichkeit kümmern, zu kürzen. Notwendig ist es, alle Ideologien der Ungleichwertigkeit und deren Erscheinungsformen sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch in Migranten-Communities zu bearbeiten.“
Nach den am 16. September veröffentlichten Recherchen des Berliner Tagesspiegel und der Wochenzeitung Die Zeit haben mindestens 137 Menschen seit 1990 durch rechts motivierte Straftaten ihr Leben verloren. „Dass sich der Bund mehr und mehr aus der Verantwortung für die zukünftige Förderung professioneller Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt herauszieht, ist angesichts dieser furchtbaren Bilanz nicht nachvollziehbar“, so Dominique John, Geschäftsführer der Opferperspektive Brandenburg e.V.