Mobile Opferberatung Süd (Halle), 07.07.2016
Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,
wir wenden uns heute mit einem besonderen Anliegen an Sie und Euch: Der heute 38-jährige Sifiso M. (Name geändert), Schwarzer Musiker und Rastafari, wurde in den vergangenen Jahren aufgrund seines Äußeren immer wieder zum Ziel entgrenzter, rassistischer Gruppengewalt mit gravierenden und langanhaltenden physischen, psychischen und psychosozialen Folgen. Um überhaupt eine Stabilisierung bis hin zur Bewältigung des Erlebten zu erreichen hofft er auf eine letzte Chance – eine Traumatherapie in seinem Heimatland Südafrika. Hierfür ist er auf Ihre und Eure Spenden angewiesen.
Zunächst hatte Sifiso M. noch gehofft, seine Ängste, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, würden ebenso wie die weiteren psychischen Folgen mit der Zeit nachlassen und versucht, sich in seiner Bewegungsfreiheit nicht mehr als unbedingt nötig einschränken zu lassen. Seine Wahlheimat Halle (Saale) zu verlassen war für den Vater zweier Kinder deshalb lange keine Option. Doch mit jedem weiteren Angriff, der Untätigkeit von Zeug_innen, unsensiblen oder unzureichenden Ermittlungen oder mit jahrelangem Warten auf eine strafrechtliche Aufarbeitung vergrößerte sich sein Misstrauen gegenüber Polizei und Justiz und später in weiße Menschen überhaupt. Sozialer Rückzug war nur eine der Folgen.
Der ausgebildete LKW-Fahrer hatte zwischenzeitlich sogar eine über das Arbeitsamt geförderte Umschulung zum Staplerfahrer erfolgreich abschließen und eine entsprechende Tätigkeit aufnehmen können. Aufgrund psychosomatischer Beschwerden infolge der Angriffe musste er diese aber nach wenigen Wochen abbrechen und ist nunmehr auf Sozialleistungen angewiesen. Seit geraumer Zeit beeinträchtigen ihn anhaltende Ein- und Durchschlafstörungen, Angstzustände, chronische Kopfschmerzen oder Konzentrationsprobleme so massiv, dass er zunehmend das Gefühl hat, sich selbst zu verlieren. Eine geeignete Therapieform innerhalb Deutschlands konnte trotz zahlreicher Bemühungen nicht gefunden werden, sodass er weiterhin auf die Einnahme von Antidepressiva und Schmerzmitteln angewiesen ist, die seine Beschwerden jedoch nur sehr bedingt lindern.
Nichtsdestotrotz hat Sifiso M. in den vergangenen Jahren unter erheblichen psychischen Anstrengungen darum gekämpft, dass die Taten von den Strafverfolgungsbehörden wahr- und ernst genommen und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Doch seine Hoffnungen auf zügige strafrechtliche Aufarbeitung und angemessene Ahndung wurden bitter enttäuscht, verbunden mit der fatalen Botschaft, dass rassistische Gewalt bagatellisiert wird und rassistische Schläger ungestraft so weiter machen können, sodass es Sifiso M., wenn er in Deutschland bleibt, jeder Zeit wieder treffen kann. Mittlerweile ist der 38-Jährige überzeugt, über kurz oder lang aufgrund rassistischer Gewalt zu Tode zu kommen, wenn er weiter hier bleibt.
Vor diesem Hintergrund und mit Abschluss des letzten, offenen Strafverfahrens im April diesen Jahres, dem sich Sifiso M. wiederum als Nebenkläger angeschlossen hatte, fehlt es nunmehr lediglich an den nötigen finanziellen Mitteln, um die schon länger angedachte Therapie in Südafrika zu beginnen. Da aufgrund der chronifizierten Traumafolgesymptomatik von einer Langzeittherapie auszugehen ist, werden für Hin- und Rückflug sowie Therapie, Unterbringungs- und Verpflegungskosten insgesamt voraussichtlich 6000 bis 7000 Euro benötigt.
Ihre und Eure Spende wäre für Sifiso M. ein wichtiges Zeichen, dass es Menschen gibt, denen sein Schicksal nicht gleichgültig ist und die ihn dabei unterstützen, die psychischen Angriffsfolgen zu überwinden.
Spendenkonto Opferfonds:
Miteinander e.V.
Bank für Sozialwirtschaft Magdeburg
IBAN: DE84 8102 0500 0008 4734 01
SWIFT / BIC: BFSWDE33MAG
Verwendungszweck: Therapie Südafrika
Sollten mehr Spenden als benötigt eingehen, werden diese zur Unterstützung weiterer Betroffener rechter und rassistischer Gewalt in Halle (Saale) und Sachsen-Anhalt genutzt. Über den Spendeneingang wird auf Wunsch gerne eine Spendenbescheinigung ausgestellt.
Die Taten, ihre körperlichen Folgen und die strafrechtliche (Nicht-)Aufarbeitung im Einzelnen
23.05. und 18.06.2012 Halle (Saale)
Am späten Abend des 23. Mai 2012 wurde der damals 34-Jährige auf dem Nachhauseweg von einer etwa vierköpfigen Gruppe verfolgt, im Stadtpark eingeholt und unter rassistischen Beschimpfungen auch am Boden liegend von den Unbekannten weiter geschlagen und getreten. Als er aufzustehen und zu flüchten versuchte, verhöhnten ihn die Angreifer und schlugen erneut auf ihn ein. Erst als sich ein Passant näherte, ließen sie von ihm ab und flüchteten. Sifiso M. erlitt u.a. eine Schwellung an der Lippe, einen Riss im Schneidezahn sowie mehrere Prellungen.
Nur knapp einen Monat später, am 18. Juni 2012, geriet der Musiker kurz vor Mitternacht auf der Peißnitz erneut ins Visier mehrerer augenscheinlich Rechter: Beim Versuch, an drei Unbekannten vorbeizulaufen, die sich ihm plötzlich in den Weg gestellt hatten, wurde er unvermittelt angerempelt, rassistisch beschimpft und in der Folge von dem Trio und mindestens drei weiteren Hinzukommenden umringt. Dann schlugen die Männer u.a. mit Stöcken auf ihn ein. Als einer der Angreifer ein Messer zückte, gelang es dem Betroffenen in Todesangst, einem der Umstehenden seinen Stock zu entreißen und die Gruppe damit in die Flucht zu schlagen. Als er dabei den Stock aus seiner Hand verliert, ging der Unbekannte mit dem Messer auf ihn los. Zwar gelang es Sifiso M., dessen Hand festzuhalten, dabei zog er sich jedoch eine stark blutende Schnittverletzung an der Hand zu. Zwei hinzukommende Männer, die sich als Polizisten ausgaben, beendeten den Angriff und notierten die Personalien des 34-Jährigen. Er erleidet u.a. multiple Prellungen am ganzen Körper. Im Zug der Anzeigenerstattung kam heraus, dass der Polizei der Angriff bislang nicht bekannt war.
Den Ermittlungsbehörden gelang es trotz Zeugenaufrufen in beiden Fällen nicht, Beschuldigte zu ermitteln, auch weil die Lichtverhältnisse beide Male so schlecht waren, dass Sifiso M. keinen Beteiligten hätte wiedererkennen können. Demgegenüber lebte er seitdem mit der Angst, die Täter könnten ihn jeder Zeit bei einer zufälligen Begegnung wiedererkennen und ihm noch Schlimmeres antun.
24.11.2012 Halle (Saale)
Vier Monate später, am 24. November 2012, wird Sifiso M., als er sich gegen 5 Uhr morgens gerade bei einem Imbiss in der Innenstadt etwas zu essen holen wollte, aus einer Gruppe heraus rassistisch beschimpft und angepöbelt, er solle „zurück in sein Land“ gehen. Dann schlugen die Unbekannten mit Fäusten auf ihn ein. Am Boden liegend trat die Gruppe auf ihn ein, auch immer wieder gezielt in sein Gesicht. Die Angreifer ließen erst von ihm ab, als Polizei vor Ort eintraf, woraufhin ein Großteil der Gruppe flüchtete. Jedoch fühlt sich Sifiso M. von den Beamten nicht ernst genommen. So stand für sie ein Atemalkoholtest bei dem augenscheinlich Verletzten im Vordergrund. Schließlich kann die Polizei noch vor Ort zwei 26-jährige Tatverdächtige stellen. Herr M. wurde mit dem Krankenwagen in die Notfallambulanz gefahren und dort u.a. Prellungen im Rippenbereich, einem verstauchten Knöchel, Abwehrverletzungen an beiden Armen sowie Schmerzen am Kopf, v.a. am Unterkiefer und am kleinen Finger ambulant behandelt.
Im Zusammenhang mit dem Angriff Ende November 2012 erhob die Staatsanwaltschaft Halle Mitte Oktober 2013 Anklage gegen vier Tatverdächtige wegen gefährlicher Körperverletzung. Knapp zwei Jahre nach der Tat – im September 2014 – sollte dann die Hauptverhandlung stattfinden. Diese musste jedoch ausgesetzt werden, da das Gericht keinen geeigneten Dolmetscher für die Muttersprache des Betroffenen fand. Auch ein weiterer Verhandlungstermin im Dezember 2014 musste erneut verschoben werden. Erst im März 2015 begann die Hauptverhandlung. Nach mehreren Verhandlungstagen, widersprüchlichen Aussagen oder geltend gemachter Erinnerungslücken der geladenen Zeugen zu der mehr als zwei Jahre zurückliegenden Tat stellte das Gericht das Verfahren gegen alle Angeklagten schließlich wegen „Geringfügigkeit“ ein.
01.01.2013 Halle (Saale)
Schließlich wurde Sifiso M. am Neujahrsmorgen 2013 auf einer Silvesterfeier in einer Wohnung, zu der ihn ein Bekannter spontan mitgenommen hatte, von einem der Anwesenden rassistisch beleidigt. Seine Versuche, sich verbal dagegen zu wehren, blieben erfolglos. Als er daraufhin gehen wollte bemerkte der 35-Jährige, wie mehrere junge Männer vor ihm den Raum verließen. Noch an der Wohnungstür wurde er dann von mehreren Angreifern, die sich zum Teil vermummt hatten, u.a. mit Reizgas attackiert. Er versuchte zu fliehen, wurde aber so massiv weiter geschlagen und getreten, das er kurzzeitig das Bewusstsein verlor. Stark am Kopf blutend gelang es dem Betroffenen schließlich, die nahe gelegene Polizeidirektion zu erreichen. Er erlitt u.a. eine Kopfplatzwunde sowie Gesichtsverletzungen und musste ambulant im Krankenhaus behandelt werden. Infolge des Angriffs verlor er zudem vier Frontzähne.
Zwar setzte die Polizei noch am Neujahrsmorgen einen Spürhund ein, der die Beamten auch zur Tatwohnung führte. Anstatt die angetroffenen Personen dann aber zur Vernehmung mit aufs Revier zu nehmen, begnügten sich die eingesetzten Polizisten damit, lediglich die Personalien aufzunehmen, obwohl die angetroffenen Personen ganz offensichtlich zu Unrecht abstritten, den Verletzten überhaupt zu kennen.
Im Resultat erhob die Staatsanwaltschaft Halle im September 2013 lediglich gegen einen zur Tatzeit 23-Jährigen Anklage, der einen Schlag mit einer Bierflasche eingeräumt hatte. Allerdings platze ein erster Prozess vor dem Amtsgericht Halle (Saale) Ende Juli 2014 nach einem Verhandlungstag, da der damals zuständige Richter zu wenig Zeit eingeplant hatte und innerhalb der erforderlichen Frist keinen weiteren Termin ermöglichen konnte. Erst mehr als drei Jahre nach der Tat, Mitte April 2016, fand schließlich eine weitere Hauptverhandlung statt. Wegen der langen Verfahrensdauer wurde der Angeklagte auf Grundlage einer Einigung im Rechtsgespräch zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Zudem muss er als Auflage 500 Euro in monatlichen Raten als symbolische „Genugtuung“ an den Nebenkläger zahlen.