Anlaufstelle Süd (Halle), 30.06.2008
Haftstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Jahren, vier Monate verhängt – Drei Verurteilte trotz Beschwerde der Staatsanwaltschaft Halle heute aus Haft entlassen
Am Landgericht Halle ist heute nach mehr als einjähriger Hauptverhandlung und 36 Verhandlungstagen gegen vier Angeklagte wegen des schweren Brandanschlags am 6. Januar 2007 in Sangerhausen das Urteil gesprochen worden: Die 4. große Strafkammer (Jugendschwurgericht) verurteilte Danny R. (27), Glenn K. (28) und Christian K. (25) wegen versuchten Mordes, besonders schwerer Brandstiftung sowie Verstoß gegen das Waffengesetz zu 4 Jahren und 9 Monaten, 3 Jahren und 9 Monaten bzw. 5 Jahren und vier Monaten Haft. Franziska Z. (22) wurde wegen Beihilfe zum versuchten Mord und zur besonders schweren Brandstiftung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Damit blieb das Gericht deutlich hinter der Forderung der Staatsanwaltschaft Halle zurück, welche in ihrem Plädoyer eine Verurteilung der vier Angeklagten zu Gefängnisstrafen zwischen fünf und acht Jahren gefordert hatte.
Nicht nachvollziehbar war für ProzessbeobacherInnen die Entscheidung der Kammer, die drei männlichen Verurteilten, welche sich bis heute in Untersuchungshaft befunden hatten, aus der Haft zu entlassen. Insbesondere die Schwere der Tat hätte eine Fortdauer der Untersuchungshaft begründen müssen. Die Staatsanwaltschaft Halle legte dagegen Beschwerde ein. Weil die Kammer dieser nicht stattgegeben hat, wird sich in Kürze das Oberlandesgericht Naumburg damit befassen müssen.
Der Vorsitzende Richter wertete die Tat in seiner Urteilsbegründung insgesamt als „feigen und menschenverachtenden Anschlag auf das Leben unschuldiger Menschen“. Er ging auch explizit auf die weiter anhaltenden psychischen Folgen des Brandanschlags für den heute 25-jährigen Hauptbetroffenen aus Burkina Faso ein. Direkt nach dem Tat hatte der schwer traumatisierte Betroffene Sangerhausen verlassen, weil er um sein Leben und seine Sicherheit fürchtete. Damit begann für ihn ein zäher Kampf mit den Behörden, um eine so genannte „Umverteilung“ zu erreichen. Erst kurz vor Prozessbeginn – im Juni 2007 – wurde er auch offiziell einem Flüchtlingsheim im Wohnort seiner Wahl zugewiesen. Doch sein Antrag auf eigene Wohnung zur weiteren Verbesserung seines Gesundheitszustands wurde durch die Stadtverwaltung mit Verweis auf seinen aufenthaltsrechtlichen Status abgelehnt. „Die Gewährung eines Bleiberechts für Betroffene von rassistischen Angriffen ist schon längst überfällig“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. “
Ein Bleiberecht wäre auch ein deutliches politisches Signal an rechte Schläger und deren Umfeld, dass ihre Handlungen zum genauen Gegenteil ihres eigentlichen Zieles führen.“
Auch wenn das Gericht in seiner Urteilsbegründung eine fremdenfeindliche Motivation für die Tat explizit benannte, geht es im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertretung von Rache als Hauptmotiv aus. Hintergrund ist, dass der Hauptbetroffene des Anschlags im Mai 2006 auf den späteren Initiator des Anschlags, Danny R., sowie weitere augenscheinlich Rechte getroffen war und sich derart bedroht gefühlt hatte, dass er zu seiner Verteidigung ein Messer zog, was ihm die Flucht ermöglichte. Auch R. hatte Anzeige gegen den Flüchtling aus Burkina Faso erstattet, beide Ermittlungsverfahren wurden in der Folge jedoch eingestellt.
Zudem habe laut Urteilsbegründung nicht festgestellt werden können, dass die Tat bereits im rechten Treffpunkt in Sotterhausen (bei Sangerhausen) geplant worden wäre. „Unbestritten ist, dass der Neonazitreffpunkt in Sotterhausen Ausgangspunkt zahlreicher rechter Aktivitäten mit lokaler und überregionaler Bedeutung ist und somit den Nährboden für menschenverachtende Gewalt bietet“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. In der Nacht vom 5. zum 6. Januar 2007 hatten alle Angeklagten eine Feier des Neonazis Enrico Marx und der NPD-Abgeordneten Judith Rothe in Sotterhausen besucht. Die drei Männer gehören selbst zur rechten Szene und nahmen regelmäßig an Kameradschaftstreffen in Sotterhausen und weiteren Veranstaltungen wie beispielsweise rechten Konzerten teil. Christian K. war Schlagzeuger der mittlerweile aufgelösten Neonazi-Band „Hate Soldiers“, die in Sotterhausen probte. Mehrere Lieder der Band sind u.a. wegen Verherrlichung des Nationalsozialismus indiziert. Lediglich Franziska Z. gehörte laut Beweisaufnahme erst kurz zur rechten Szene und distanzierte sich auch in ihrem heutigen Schlusswort deutlich.
Immer wieder kommt es in Sangerhausen zu rassistischen Angriffen, beispielsweise im März diesen Jahres, als eine 29-jährige vietnamesische Studentin bei der Durchreise auf dem Bahnhof in Sangerhausen aus einer Gruppe von drei jungen Männern geschlagen, getreten und Richtung Gleise gestoßen wurde. Und obwohl selbst der aktuelle Verfassungsschutzbericht des Magdeburger Innenministeriums dem Neonazitreffpunkt von Enrico Marx und Judith Rothe in Sotterhausen eine „herausragende Bedeutung“ bescheinigt, ist von zivilgesellschaftlichen Aktivitäten gegen die extrem gewaltbereite und dominante Mischszene aus Neonazi-Kameradschaften, NPD, Jungen Nationaldemokraten (JN) und RechtsRock-Aktivisten kaum etwas zu spüren.
Am kommenden Samstag, dem 5. Juli 2008, soll zum zweiten Mal ein von NPD, JN und Kameradschaften ausgerichtetes „Sommerfest“ in Sangerhausen stattfinden. Als Redner sind u.a. der Holocaust-Leugner Olaf Rose und der bundesweite Neonazianführer Thomas „Steiner“ Wulf angekündigt. Mit „Wolfsgarde“ ist zudem der Auftritt einer Neonaziband angekündigt, die sich auf Myspace als Nachfolgeprojekt von „Hate Soldiers“ bezeichnet. Diese „Sommerfeste“ verfestigen die Dominanz der rechtsextremen Jugendkulturen in der Region. Schon im vergangen Jahr konnte die NPD in Sangerhausen ungestört mit rund 400 Teilnehmern und zahlreicher Neonaziprominenz ein so genanntes „Sommerfest der nationalen Bewegung“ feiern.