Anlaufstelle Nord (Salzwedel), 16.12.2008
Mobile Opferberatung kritisiert mangelnden Respekt für die Betroffenen des Angriffs durch offizielle Stellen
Am 18. Dezember ab 9 Uhr wird am Amtsgericht Burg mehr als zwei Jahre nach dem Angriff einer Gruppe von rund drei Dutzend Rechten auf eine alternative Geburtstagsparty in Gerwisch bei Magdeburg das Urteil erwartet. Der Prozess gegen fünf Rechte, denen die Staatsanwaltschaft gefährliche Körperverletzung in mindestens sieben Fällen und Landfriedensbruch im Zusammenhang mit dem Angriff auf das Bürgerhaus Gerwisch am 21. Oktober 2006 vorwirft, dauerte über ein halbes Jahr. In mehr als 20 Verhandlungstagen wurden über 40 Zeugen vernommen.
In ihrem Schlussvortrag am 4. Dezember sah die Staatsanwaltschaft im Vorgehen der rechten Angreifer eindeutige Anhaltspunkte für einen organisierten Angriff. Etwa 30 bis 35 Personen seien mit diesem Entschluss spätabends von einer Feier in einem rechten Treffpunkt in Grabow losgefahren. Die Angreifer seien teilweise vermummt und mit Quarthandschuhen bewaffnet losgefahren. Die Angreifer hätten ihre rechte Gesinnung durch Rufe wie „Zick-Zack-Zeckenpack“ und „Sieg Heil“ ausgedrückt.
Nebenklägervertreter Stephan Martin sagte, die fünf Angeklagten und die unbekannten Mittäter seien „wie ein Rollkommando“ über die Geburtstagsfeier hergefallen. Die Angreifer warfen mit Flaschen, stießen Einrichtungsgegenstände um und prügelten und traten auf feiernde und auf flüchtende Gäste ein. Die rechten Angreifer hätten die feiernden Jugendlichen und jungen Erwachsenen gedemütigt und verletzt.
Rechtsanwalt Felix Isensee und Rechtsanwältin Christina Clemm erörterten seitens der Nebenklage in ihren Schlussvorträgen die juristische Bewertung dieses Geschehens. Durch das organisierte Vorgehen der Angreifer, das Rufen von Kommandos und den gemeinsamen Tatentschluss seien alle fünf Angeklagten als Mittäter für elffache gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung und wegen des Werfens von Flaschen und Tischen beim Angriff für Beteiligung an schwerem Landfriedensbruch zu verurteilen.
„Durch die unvollständige und teilweise inkompetente damalige Ermittlungsarbeit der Polizei kamen wesentliche Teile des Sachverhaltes erstmals in der Hauptverhandlung zur Sprache“, bemängelte ein Vertreter der Mobilen Opferberatung die lange Zeitspanne zwischen dem rechten Angriff und dessen juristischer Ahndung. Dies gilt insbesondere für die fehlenden polizeilichen Ermittlungen zum Ausgangspunkt des rechten Angriffs: eine rechte Feier in dem damaligen Neonazitreffpunkt in Grabow. „Den betroffenen Jugendlichen des Angriffs blieb bis heute die Anerkennung als Betroffene eines schweren rechten Angriffs durch offizielle Stellen versagt. Respekt für die Opfer von rechter Gewalt sieht anders aus als dies durch Vertreter der Gemeinde Gerwisch, der Polizeiführung im Jerichower Land und des Innenministeriums bisher geäußert wurde“, fasst die Mobile Opferberatung die Frustration vieler Betroffener über die Reaktionen auf den Angriff zusammen.
Der Angriff auf die Geburtstagsfeier im Bürgerhaus war 2006 nur einer von mehreren rechten Angriffen in Gerwisch. „Wenn nie ein Wochenende friedlich ist“ fasste eine 17-jährige Zeugin die damalige Situation für alternative Jugendliche in dem Ort zusammen. Am Vorabend des Angriffs auf die Geburtstagsfeier waren mehrere Vermummte in den Proberaum einer Punkband eingedrungen und hatten die Anwesenden unter Androhungen nach den Namen von Personen befragt, die Aufkleber gegen Neonazis in Gerwisch verteilt hätten. In den Vernehmungen von Partygästen waren auch weitere rechte Angriffe aus den Jahren 2006 und Vorjahren zur Sprache gekommen, die – mit einer Ausnahme – nicht juristisch geahndet wurden.
Während der Gerichtsverhandlung waren Neonazis im Zuschauerraum vor allem dann anwesend, wenn „Kameraden“ als Zeugen auftraten. Sie fühlten sich dabei so sicher, dass sie auch eindeutige T-Shirts mit Bekenntnis zur gewalttätigen sogenannten „Anti-Antifa“ trugen.
Das Verfahren gegen die fünf Angeklagten wird am 18. Dezember um 9 Uhr im Amtsgericht Burg fortgesetzt. Nach den abschließenden Worten der Angeklagten wird mit der Urteilsverkündung gerechnet.