Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 03.03.2005
Braune Musik und tödliche „Notwehr“ – Staatsanwaltschaft fordert sechseinhalb Jahre Haft für ehemaligen Naziskinhead.
Am 4. April soll beim Landgericht Halle im Prozess um die Tötung des 60-jährigen Helmut Sackers im April 2000 in Halberstadt durch einen rechtsextremen Skinhead das Urteil verkündet werden.
Die Staatsanwaltschaft hatte nach 21 Verhandlungstagen im Revisionsprozess beim Landgericht Halle am 14. März 2005 für den 33jährigen Angeklagten Andreas S. eine Haftstrafe von sechseinhalb Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge gefordert. Die Verteidigung hingegen plädierte – wie schon im erstinstanzlichen Verfahren – auf Freispruch wegen Notwehr.
Am Abend des 29. April 2000 hatte Helmut Sackers eine Stunde vor seinem Tod über Notruf die Polizei in Halberstadt verständigt: „Bei uns im Haus werden Nazilieder gespielt, Horst -Wessel-Lied, ganz laut.“ Die Polizeibeamten, die sich daraufhin zu der Wohnung begaben, ermahnten den Wohnungsinhaber und jetzigen Angeklagten, während Helmut Sackers dem damals 29jährigen rechten Skinhead Andreas S. für den Wiederholungsfall mit einer Anzeige drohte. Eine Stunde später war der 60-jährige Helmut Sackers tot, verblutet an vier Messerstichen im Treppenhaus des Plattenbaus, in dem er mit seiner Lebensgefährtin wohnte.
In der Wohnung von Andreas S. fanden Ermittler nach dem Tod von Helmut Sackers über 80 rechtsextreme , zum größten Teil indizierte CDs und rechtsextremer Propagandamaterial inzwischen verbotener Neonaziorganisationen sowie ein Video, in dem u.a. zum Mord an politischen Gegnern aufgerufen wird. Das Landgericht Magdeburg hatte Andreas S., der behauptete, er habe in Notwehr zugestochen, nach nur acht Verhandlungstagen auf Antrag der Staatsanwaltschaft Halberstadt und der Verteidigung im November 2000 freigesprochen.
Nachdem Verwandte von Helmut Sackers als Nebenkläger Revision eingelegt hatten, hob der Bundesgerichtshof im Juli 2001 das Urteil wegen offensichtlicher Verfahrensfehler auf und verwies das Verfahren ans Landgericht Halle.
In seinem Plädoyer nach 21 Verhandlungstagen vor der Großen Strafkammer beim Landgericht Halle warf Oberstaatsanwalt Andreas Schieweck dem Angeklagten vor, er habe dem Gericht eine konstruierte Version der Ereignisse zugemutet, die zum Tod von Helmut Sackers führten.
Staatsanwalt Schieweck und Nebenklagevertreter Wolfgang Kaleck gingen in ihren Plädoyers davon aus, dass Andreas S. zielgerichtet auf Helmut Sackers losgegangen war. Dass Helmut Sackers die Polizei wegen des lautstarken Abspielens des Horst Wessel Liedes in der Wohnung des Angeklagten gerufen hatte, habe Andreas S. als persönlichen Angriff aufgefasst.
Heide Dannenberg, der Lebensgefährtin des Getöteten und den Angehörigen geht es in erster Linie nicht mehr um die Höhe des Strafmaßes. Nur „ganz umsonst“ soll der Tod von Helmut Sackers nicht gewesen sein. Er tat das, „wovon alle immer sprechen“, er handelte mit Zivilcourage und schritt gegen rechte Umtriebe ein. Dafür musste er mit dem Wertvollsten – seinem Leben – bezahlen,“ so Heide Dannenberg.
Sollte das Landgericht Halle die Konstruktion von der Notwehr des Angeklagten Andreas S. aufrecht erhalten und der Täter erneut freisprechen, würden die Angehörigen von Helmut Sackers die Kosten des Hauptverfahrens (bis zu 20.000 €) tragen müssen. Für diesen Fall ruft die Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt zu Spenden für die Prozesskosten der Angehörigen von Helmut Sackers auf. Der Spendenaufruf wird u.a. von folgenden ErstunterzeichnerInnen unterstützt:
Dr. h.c. Hans Koschnick, Bürgermeister a.D. Bremen
Hans-Jochen Tschiche, Vorstandsvorsitzender Miteinander e.V., Magdeburg
Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende Amadeu-Antonio-Stiftung, Berlin
Prof. Roland Roth, Hochschule Magdeburg-Stendal
Prof. Jochen Fuchs, Hochschule Magdeburg-Stendal
Prof. Micha Brumlik, Direktor des Fritz Bauer Instituts, Frankfurt/ Main
Prof. Hajo Funke, Freie Universität Berlin
Dr. Christian Staffa, Geschäftsführer Aktion Sühnezeichen Friedendienste e.V., Berlin
Prof. Wolf-Dieter Narr, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Berlin