Anlaufstelle Süd (Halle), 10.09.2008

16.08.2008 Naumburg
Am frühen Morgen gegen 6:00 Uhr wird ein alternativer Jugendlicher aus einem Auto heraus beschimpft. Als das Fahrzeug hält, zwei Rechte aussteigen und grölend auf ihn zukommen, flieht der 21-Jährige. Durch einen Sturz holen die Verfolger ihn ein und schlagen und treten den am Boden liegenden Jugendlichen mehrfach gegen den Kopf und Körper. Während des Angriffs drohen die anscheinend aus Bad Kösen stammenden Rechten noch „das wird euch in Naumburg jetzt öfters passieren“. Zudem versucht ihm einer der Angreifer mit den Worten „Jetzt siehst du mal wie man ´ner Zecke das Genick bricht.“, den Kopf umzudrehen. Der Betroffene muss mit Gesichtsverletzungen und Schürfwunden ambulant im Krankenhaus behandelt werden.

Als Reaktion auf diesen Angriff fand in Naumburg eine Spontandemonstration alternativer Jugendlicher statt. Während das Naumburger Tageblatt über den rechten Angriff nicht berichtete, diffamierte es in einem Artikel vom 19.08.2008 die DemonstrantInnen als Chaoten und Steineschmeißer. Daraufhin schrieb die Mobile Opferberatung am 27.08.2008 einen Leserbrief an die Zeitung, der erst zwei Wochen später in der Ausgabe des Naumburger Tageblatts vom 10.09.2008 auszugsweise veröffentlicht wurde. Hier finden sich der ungekürzte Leserbrief und der Artikel des Naumburger Tageblatts zum Nachlesen, wie rechte Gewalt in der lokalen Berichterstattung verharmlost wird.

Leserbrief der Mobilen Opferberatung zum Artikel des Naumburger Tagesblatts vom 19.08.2008:

Halle, den 27. August 2008

Solidaritätsaktion mit Opfer rechter Gewalt kriminalisiert

In dem Artikel mit der Überschrift „Autonome schmeißen mit Steinen“, erschienen in der Druckausgabe des Naumburger Tageblatts vom 19.08.2008, berichtete das Tageblatt über eine Spontandemonstration alternativer Jugendlicher: diese hatten auf einen Angriff von Rechten auf einen 21-Jährigen am Vortrag aufmerksam machen wollen.

Über den Anlass der Demonstration – einen massiven Angriff von zwei Rechten, die auf ihr am Boden liegendes Opfer einschlugen und –traten – – erfährt der Leser des Tageblatts in dem oben genannten Artikel leider überhaupt nichts. Stattdessen wird eine politisch rechts motivierte Gewalttat als „Prügelei“ verharmlost und lediglich herabwürdigend der Alkoholisierungsgrad des Opfers genannt. Die alternativen Jugendlichen werden zudem diffamierend als „Linksautonome“ bezeichnet, die an einer nicht genehmigten Demonstration teilgenommen hätten, teilweise vermummt gewesen seien und einen Pflasterstein auf ein Polizeifahrzeug geworfen hätten. Diese Darstellung ist einseitig, entspricht nicht den Tatsachen und hat mit einer der Sorgfalt und den Fakten verpflichteten Berichterstattung wenig gemein.

Fehlende Fakten

An dieser Stelle möchten wir einige der im Artikel fehlenden Fakten nachtragen: Das Recht auf so genannte Spontandemonstrationen aus aktuellem Anlass ohne vorherige Anmeldung ist im Grundgesetz verankert – und keineswegs illegitim oder gar illegal, wie Ihr Artikel suggeriert. Die friedliche Demonstration der alternativen Jugendlichen am 17.08.2008, die auf positive Resonanz etlicher Passanten stieß, wurde aus Eigeninitiative aufgelöst. Auf dem Weg zurück zum Bahnhof wurden angereiste Demonstrationsteilnehmer von Neonazis in einem PKW verfolgt und bedroht. Auf dem Bahnhofsvorplatz versperrte eine Gruppe von ca. zehn Neonazis den alternativen Jugendlichen den Weg, rannte auf sie zu und warf mit Bierflaschen nach ihnen. In Sichtweite befindliche Polizeibeamte sahen dabei tatenlos zu. Erst als Verstärkung eintraf und nach Hinweisen der Betroffenen zu dem Angriff nahmen die Beamten schließlich auch die Personalien der Rechten auf, die sich noch in der Nähe aufhielten. Auch dieser Angriff findet in dem Artikel leider keine Erwähnung.

Undifferenziert und einseitig

Die undifferenzierte und einseitige Berichterstattung des Artikels verhöhnt und erniedrigt nicht nur das Opfer des rechten Angriffs vom 16.08.2008 und seine Angehörigen, sondern kriminalisiert zudem auch alle diejenigen, die sich öffentlich mit Opfern rechter Gewalt solidarisieren und gegen Rechtsextremismus engagieren. Damit einher geht eine unerträgliche Verharmlosung neonazistischer Aktivitäten und rechter Gewalt in Naumburg.

Als landesweites Projekt unterstützen wir Betroffene rechter und rassistisch motivierter Gewalttaten in Sachsen-Anhalt – und u.a. auch in Naumburg. Für die Zukunft hoffen wir, dass die Redaktion des Naumburger Tageblatts über rechtsextreme Aktivitäten und Reaktionen derjenigen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, mit der notwendigen journalistischen Sorgfaltspflicht berichtet und ihre Leser umfassend und an den Fakten orientiert informiert.

Mit freundlichen Grüßen
Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt

Nachfolgend dokumentieren wir den Artikel des Naumburger Tageblatts vom 19. August 2008:

„Autonome schmeißen mit Steinen“

Von Helga Heilig

Naumburg: Wie aus dem nichts tauchten Sonntag gegen 16 Uhr in der Naumburger Jägerstraße rund 40 schwarz gekleidete, teils vermummte Jugendliche auf. Die Linksautonomen führten ein Transparent bei sich, auf dem „Nazis eine Abreibung verpassen!“ stand. Von der zuvor nicht angekündigten und somit auch nicht genehmigten Demonstration wurden die Dienst habenden Polizeibeamten des Revierkommissariats Naumburg überrascht.
Die Demoteilnehmer begaben sich laut Auskunft des Leiters des Kommissariats, Olaf Sendel, in Richtung Innenstadt und verteilten dabei Handzettel. Als Grund für die Demo wurde angegeben, dass am Sonnabend, 6 Uhr morgens, ein Kumpel der Linksautonomen von einem Nazi verprügelt worden sei. Davon aber wusste man bei der Polizei nichts. Der Mann hatte sich zwar dort gemeldet, auch von der Prügelei gesprochen – besser gelallt, denn er hatte 2,78 Promille Alkohol im Blut – aber nichts von einem Angriff Rechtsradikaler erzählt. Die Polizeibeamten fuhren den Verletzten zum Arzt und sahen sich den Ort der Prügelei an, konnten jedoch niemanden dingfest machen. Während des Marsches der Linksautonomen in Richtung Markt wurden begleitende Polizeibeamte beschimpft, unter anderen mit den Worten: „Haut ab, ihr Bullen“.
Etwa in Höhe Weingarten haben Demonstranten laut Sendel Pflastersteine aufgenommen. Einer davon wurde später in Höhe Wiesenstraße auf einen Streifenwagen der Polizei geworfen. Das Blaulicht musste dabei daran glauben. Die Gruppe der Demonstranten trennte sich. Etwa 25 Mann gingen in Richtung Bahnhof. Unterdessen hatten die Beamten aus Naumburg Verstärkung aus Halle erhalten. Am Bahnhof wurde die Versammlung durch die Polizei aufgelöst und die Personalien der Leute festgestellt. Wie Sendel sagte kamen sie aus Jena, Weimar, Apolda, Weißenfels, Merseburg und Halle. Ein Drittel aller Beteiligten seien Naumburger gewesen.
Es habe sich um denselben Kreis gehandelt wie bei der Demo am 12. April, so der Leiter des Polizeikommissariats. 20 Uhr war der Spuk vorbei. Gegen die Beteiligten laufen Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch und Sachbeschädigung.