Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 18.01.2012
Nebenklage stellt rechtliche Bewertung des Tatgeschehens in Frage – Beginn: Freitag, den 20. Januar 2012, 9:30 Uhr, Landgericht Magdeburg, Halberstädter Str. 8, 39112 Magdeburg, Raum E12
Am Freitag, den 20. Januar 2012 beginnt an der Jugendkammer des Landgerichts Magdeburg nach einem massiven rassistischen Angriff auf drei Studierende Mitte Dezember 2010 an einer Bushaltestelle in Magdeburg der Berufungsprozess gegen zwei zur Tatzeit 18- und 47-Jährige. Der heute 19-Jährige war im Juli letzten Jahres vom Amtsgericht Magdeburg wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einfacher Körperverletzung und Beleidigung zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren verurteilt worden. Die rassistische Tatmotivation wurde dabei vom Schöffengericht strafschärfend berücksichtigt. Der 48-Jährige war hingegen freigesprochen worden, weil ihm eine Tatbeteiligung nicht nachzuweisen gewesen sei.
In der Folge legten zwei der Betroffenen, die vor Gericht als Nebenkläger auftraten Berufung gegen dieses Urteil ein. So vertreten ihre Rechtsanwälte die Auffassung, dass auch dem ältesten Angeklagten eine Tatbeteiligung nachweisbar sei. Zudem sei auch der Angriff auf die beiden Frauen rechtlich nicht als einfache, sondern ebenso als gemeinschaftliche Körperverletzung zu werten, da die Studierenden deutlich als Gruppe wahrnehmbar gewesen seien. Zum Prozessauftakt sind ein Sachverständiger sowie zwei Betroffene geladen. Weitere Verhandlungstage sind für den 30. und 31. Januar 2012, jeweils ab 9:30 Uhr anberaumt.
Zum Hintergrund
Am frühen Morgen des 18. Dezember 2010 warteten drei Studierende aus Ecuador, Mexiko und Deutschland an der Haltestelle „Kastanienstraße“ auf den Bus, als sie plötzlich feindselig von vier Unbekannten gemustert und angegriffen wurden. Mindestens drei der Männer stürmten auf sie zu, stießen die 29-jährige Mexikanerin zu Boden und schlugen den 24-jährigen Ecuadorianer unvermittelt ins Gesicht. Etwa zeitgleich wurde der 25-jährigen Deutschen ihr Handy aus der Hand geschlagen, mit dem sie die Polizei alarmieren wollte.
Derweil versuchte der Student zu flüchten, wurde jedoch von den Angreifern eingeholt, zu Boden gebracht und unter rassistischen Beleidigungen gegen seinen Kopf und Oberkörper getreten. Bei dem Versuch, ihrem Freund zu helfen, wurden auch die beiden Frauen zu Boden gestoßen, getreten und beleidigt. Erst als sich der 24-Jährige nicht mehr bewegte, ließen die Angreifer von ihm ab und entrissen der 25-Jährigen im Weggehen noch ihre Handtasche. Der Betroffene musste u.a. mit Schädel-Hirn-Trauma und Nasenbeinbruch stationär im Krankenhaus behandelt werden. Die Frauen erlitten Schürfwunden und Prellungen.
Noch am gleichen Tag ermittelte die Polizei drei Tatverdächtige im Alter von 18, 21 und 23 Jahren, die der rechten Szene zuzuordnen seien. Zugleich verneinte sie aber öffentlich einen rassistischen Hintergrund. Nur vier Tage nach der Tat erhob die Staatsanwaltschaft Magdeburg Anklage gegen den 18- und 23- Jährigen sowie einen 27- und 47-Jährigen. Die Angeklagten sind zum Teil einschlägig wegen Körperverletzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen vorbestraft. Trotz eindeutiger Aussagen blendete jedoch auch die Staatsanwaltschaft das rassistische Tatmotiv aus und stellte zudem die Verfahren wegen der Körperverletzungen gegen die beiden Frauen wegen Geringfügigkeit ein.
Erst im Prozess gegen den 23- und den inzwischen 28-jährige Angeklagten vor dem Amtsgericht Magdeburg – das Verfahren gegen die heute 19- und 48-Jährigen musste abgetrennt werden, weil sie kurz vor Prozessbeginn untergetaucht waren – kamen die Hintergründe der Tat detailliert zur Sprache. So hatten die Angeklagten in der Tatnacht zunächst in einer Wohnung Rechtsrock gehört, die Texte mitgegrölt und laut „Sieg Heil“ gerufen. Zudem brüsteten sie sich mit einem Angriff auf einen Punk wenige Wochen zuvor, wegen dem der damals 47-Jährige mittlerweile rechtskräftig verurteilt ist. Dann verließen sie gemeinsam die Wohnung, um „ein weiteres Opfer zu suchen“, wie das Gericht später resümierte.
Dementsprechend berücksichtigten sowohl das Amtsgericht in erster Instanz als auch das Landgericht in der Berufungsinstanz gegen die 23- und 28-Jährigen den rassistische Hintergrund als strafschärfend. Das Urteil des Landgerichts Magdeburg, wonach die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung an dem ecuadorianischen Studenten sowie Beleidigung aller drei Betroffenen zu einem Jahr und 10 Monaten Haft bzw. einem Jahr und fünf Monaten auf Bewährung verurteilt wurden, ist mittlerweile rechtskräftig.